Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
geringsten. Ich bin froh, jemanden zu haben, mit dem ich meine Resultate durchsprechen kann. Die Angelegenheit ist völlig unerheblich«, – er wies mit dem Daumen auf den alten Hut –, »aber es gibt einige Punkte, die des Interesses nicht entbehren, sogar lehrreich sind.«
Ich setzte mich in einen Lehnsessel und wärmte mir die Hände am prasselnden Feuer, denn es hatte ein scharfer Frost eingesetzt, und die Fenster waren mit dicken Eiskristallen bedeckt. »Ich nehme an«, bemerkte ich, »dieses Ding da, so häßlich es aussieht, steht mit einer schrecklichen Geschichte in Verbindung – ist vielleicht der Schlüssel zu einem Geheimnis und zur Strafe für ein Verbrechen.«
»Nein, nein. Kein Verbrechen«, sagte Sherlock Holmes lachend. »Lediglich einer jener absonderlichen kleinen Vorfälle, die geschehen, wo sich vier Millionen menschliche Wesen auf ein paar Quadratmeilen drängen. Inmitten der Aktionen und der Reaktionen eines so dichten Schwarms menschlicher Natur darf man das Auftreten jeder Kombination von Ereignissen erwarten, und manches kleine Problem ergibt sich, das überraschend oder wunderlich anmuten mag, aber nicht gleich ein Verbrechen sein muß. Wir haben auf dem Gebiet doch schon Erfahrungen gemacht.«
»So viele«, bemerkte ich, »daß von den letzten sechs Fällen, die ich meinen Aufzeichnungen hinzufügte, drei überhaupt nichts mit Verstößen gegen das Gesetz zu tun hatten.«
»Genau. Sie spielen an auf meinen Versuch, die Fotografie der Irene Adler zu entdecken, auf den einmaligen Fall der Miss Mary Sutherland und auf das Abenteuer des Mannes mit dem schiefen Mund. Und diese unbedeutende Angelegenheit wird wohl derselben harmlosen Kategorie zuzurechnen sein. Kennen Sie Peterson, den Kommissar?«
»Ja.«
»Ihm gehört die Trophäe.«
»Es ist sein Hut?«
»Nein, nein, er hat ihn gefunden. Der Eigentümer ist unbekannt. Ich bitte doch, das Ding nicht als eine ramponierte Kopfbedeckung anzusehen, sondern als ein intellektuelles Problem. Zuerst einmal, wie kam es her. Es traf am Weihnachtsmorgen ein, in Gesellschaft einer fetten Gans, die in diesem Augenblick zweifellos auf Petersons Herd schmort. Das sind die Tatsachen: Peterson, eine ehrliche Haut, wie Sie wissen, kam gegen vier Uhr von einem kleinen Vergnügen und ging über die Tottenham Court Road heimwärts. Da sah er vor sich im Licht einer Gaslaterne einen ziemlich großen Mann, der leicht schwankte und über der Schulter eine weiße Gans trug. An der Ecke Goodge Street geriet der Fremde in ein Handgemenge mit einigen Raufbolden. Einer schlug dem Mann den Hut vom Kopf, woraufhin der seinen Stock erhob, um sich zu verteidigen, ihn über seinem Kopf schwang und dabei eine Schaufensterscheibe hinter sich zertrümmerte. Peterson lief los, um den Fremden gegen seine Angreifer zu verteidigen, aber der Mann, erschrocken wegen der zerbrochenen Scheibe, ließ die Gans fallen und nahm, als er sah, daß eine amtlich wirkende Person in Uniform auf ihn zustürzte, die Beine in die Hand und verschwand in dem Labyrinth kleiner Straßen neben der Tottenham Court Road. Die Raufbolde flohen beim Auftauchen Petersons gleichfalls, so daß das Schlachtfeld nur ihm gehörte und auch die Siegesbeute in Gestalt dieses schäbigen Hutes und einer höchst unschuldigen Weihnachtsgans.«
»Die er sicherlich ihrem Eigentümer zurückgegeben hat.«
»Mein lieber Junge, gerade da liegt das Problem. Zwar stand auf einer Karte, die am linken Bein des Vogels befestigt war ›Für Mrs. Henry Baker‹, und auch im Futter des Huts waren die Initialen H. B. zu lesen; aber da es einige tausend Bakers und einige hundert Henry Bakers in unserer Stadt gibt, wird es nicht leichtfallen, auch nur einem von ihnen verlorenes Eigentum zurückzugeben.«
»Was hat Peterson dann getan?«
»Er hat Hut und Gans am Weihnachtsmorgen zu mir gebracht, weil er weiß, daß mich auch die kleinsten Probleme interessieren. Die Gans nahmen wir bis heute morgen in Verwahr, aber da machten sich trotz des Frosts Anzeichen dafür bemerkbar, daß es gut wäre, sie ohne weitere Verzögerung zu verspeisen. Der Finder hat also die Gans mitgenommen, um sie ihrer letzten Bestimmung zuzuführen, während ich noch immer den Hut des Herrn hier habe, der um sein Weihnachtsmahl gekommen ist.«
»Hat er nicht annonciert?«
»Nein.«
»Wie wollen Sie ihn denn sonst identifizieren?«
»Nur durch Schlußfolgerungen.«
»Aus diesem
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