Die Abenteuer des Sherlock Holmes
Gesellschaftsblätter ein Passus, der das weiter ausführte. Ah, hier ist er. ›Binnen kurzem werden protektionistische Maßnahmen zugunsten des Heiratsmarktes erwartet, da das augenblicklich angewandte Freihandels-Prinzip unsere heimischen Produkte ernstlich zu beeinträchtigen scheint. Eine nach der anderen gehen die Geschäftsführungen der vornehmen Häuser Großbritanniens in die Hände unserer reizenden Cousinen von jenseits des Atlantik über. Die Liste der von diesen anmutigen Invasorinnen heimgeführten Prisen erfuhr in der vergangenen Woche eine bedeutende Ergänzung. Lord St. Simon, der sich seit über zwanzig Jahren als wider die Pfeile des kleinen Gottes gefeit erwiesen hatte, hat nun endgültig seine bevorstehende Vermählung mit Miss Hatty Doran bekanntgegeben, der faszinierenden Tochter eines kalifornischen Millionärs. Miss Doran, deren anmutige Gestalt und deren auffallendes Antlitz bei den Festlichkeiten im Westbury House viel Aufmerksamkeit erregten, ist das einzige Kind, und gegenwärtig heißt es, ihre Mitgift werde weit mehr denn nur sechsstellig sein, mit besten Erwartungen für die Zukunft. Da es ein offenes Geheimnis ist, daß der Herzog von Balmoral während der zurückliegenden Jahre gezwungen war, seine Gemälde zu veräußern, und da Lord St. Simon abgesehen von dem kleinen Gut Birchmoor nicht über eigenes Besitztum verfügt, ist es offensichtlich, daß die kalifornische Erbin nicht als einzige Gewinn aus dieser Allianz zieht, die es ihr ermöglichen wird, die einfache und verbreitete Wandlung von einer republikanischen Dame zu einem britischen Titel zu vollziehen.‹«
»Sonst noch etwas?« fragte Holmes gähnend.
»O ja, soviel Sie wollen. Dann ist hier eine weitere Meldung in der
Morning Post,
in der es heißt, daß es eine ganz stille Hochzeit sein soll, und zwar in der Kirche von St. George, Hanover Square, daß nur ein halbes Dutzend engster Freunde eingeladen sei, und daß die Gesellschaft von dort zu dem von Mr. Aloysius Doran angemieteten und zur Verfügung gestellten Haus am Lancaster Gate zurückkehren werde. Zwei Tage später – also am vergangenen Mittwoch – findet sich eine kurze Mitteilung, daß die Hochzeit stattgefunden habe, und daß man die Flitterwochen auf Lord Backwaters Besitz nahe Petersfield verbringen werde. Das sind alle Meldungen, die erschienen sind, bevor die Braut verschwunden ist.«
»Bevor die Braut was?« fragte Holmes; er fuhr auf.
»Bevor die Dame verschwunden ist.«
»Wann ist sie denn verschwunden?«
»Beim Hochzeitsfrühstück.«
»Wirklich? Das ist interessanter, als es zu werden versprach. Sogar ziemlich dramatisch.«
»Ja; es erschien mir ein wenig ungewöhnlich.«
»Sie verschwinden oft vor der Zeremonie und bisweilen auch während der Flitterwochen; ich kann mich aber nicht an etwas derart Promptes erinnern. Bitte geben Sie mir die Einzelheiten.«
»Ich muß Sie vorwarnen; sie sind nicht besonders vollständig.«
»Vielleicht können wir sie vervollständigen.«
»Soweit sie bekannt sind, finden sie sich in einem einzigen Artikel einer Morgenzeitung von gestern; den will ich Ihnen vorlesen. Er ist überschrieben mit:
Einzigartiger Vorfall bei vornehmer Hochzeit
Die seltsamen und schmerzlichen Ereignisse, die sich gelegentlich seiner Hochzeit zutrugen, haben Lord Robert St. Simons Familie in die tiefste Verwirrung gestürzt. Wie in den gestrigen Zeitungen kurz mitgeteilt, fand die Zeremonie am Morgen zuvor statt; es wurde jedoch erst jetzt möglich, die seltsamen Gerüchte zu bestätigen, die so beharrlich umherschwirrten. Trotz der Versuche von Freunden, die Angelegenheit zu vertuschen, hat sie inzwischen so viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, daß kein sinnvoller Zweck mehr erfüllt wird durch den Anschein, man könne etwas ignorieren, was längst allgemeiner Gesprächsstoff geworden ist.
Die in der Kirche von St. George, Hanover Square, vorgenommene Zeremonie war sehr still; außer dem Brautvater, Mr. Aloysius Doran, der Herzogin von Balmoral, Lord Backwater, Lord Eustace und Lady Clara St. Simon (dem jüngeren Bruder und der Schwester des Bräutigams) sowie Lady Alicia Whittington nahm niemand daran teil. Die ganze Gesellschaft begab sich anschließend in das Haus von Mr. Aloysius Doran am Lancaster Gate, wo ein Frühstück vorbereitet war. Dort scheint eine Frau ein wenig Ärger verursacht zu haben, deren Name nicht festgestellt werden konnte und die versuchte, sich im Gefolge der Hochzeitsgesellschaft
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