Die Abenteuer des Sherlock Holmes
Frage, ob sein Fall interessant ist. Es ist jedoch durchaus möglich, daß es bei dieser neuen Untersuchung auch an Interesse nicht fehlt. Sie haben doch in der letzten Zeit die Zeitungen aufmerksam gelesen, nicht wahr?«
»Es sieht so aus«, sagte ich bedauernd; ich deutete auf ein riesiges Bündel in der Ecke. »Ich hatte sonst nichts zu tun.«
»Das ist erfreulich, so können Sie mich vielleicht auf den neuesten Stand bringen. Ich lese nichts als die Berichte über Verbrechen und die Nachrufe. Letztere sind immer sehr instruktiv. Wenn Sie aber die jüngsten Ereignisse so aufmerksam verfolgt haben, dann haben Sie doch sicher über Lord St. Simon und seine Hochzeit gelesen?«
»Aber ja, mit dem größten Interesse.«
»Das ist gut. Der Brief, den ich in der Hand halte, ist von Lord St. Simon. Ich werde ihn Ihnen vorlesen, und als Gegenleistung müssen Sie diese Zeitungen durchsehen und mir alles geben, was mit der Angelegenheit zu tun hat. Er schreibt das Folgende:
Lieber Mr. Sherlock Holmes,
Lord Backwater versichert mir, ich könne mich voll und ganz auf Ihr Urteilsvermögen und Ihre Diskretion verlassen. Ich habe daher beschlossen, mich an Sie zu wenden und Sie im Hinblick auf die sehr schmerzlichen Ereignisse zu konsultieren, die in Zusammenhang mit meiner Vermählung vorgefallen sind. Mr. Lestrade von Scotland Yard ist in dieser Angelegenheit bereits aktiv, doch versichert er mir, er habe keinerlei Einwände gegen Ihre Mitarbeit und sei sogar davon überzeugt, daß sie sich als hilfreich erweisen könne. Ich werde Sie um vier Uhr am Nachmittag aufsuchen, und sollten Sie für diese Zeit andere Verabredungen eingegangen sein, so hoffe ich, daß Sie diese verschieben wollen, da es sich um eine Angelegenheit von allergrößter Bedeutung handelt.
Hochachtungsvoll
ROBERT ST. SIMON
Der Brief ist mit
Grosvenor Mansions
überschrieben, abgefaßt mit einer Gänsekiel-Feder, und der noble Lord hat das Pech gehabt, sich einen Tintenfleck an der Außenseite seines rechten kleinen Fingers zuzuziehen«, bemerkte Holmes, als er das Schreiben faltete.
»Er sagt vier Uhr. Es ist jetzt drei. In einer Stunde wird er hier sein.«
»Dann bleibt mir eben noch Zeit, mit Ihrer Hilfe Klarheit in dieser Sache zu gewinnen. Sehen Sie doch bitte die Zeitungen durch und sortieren Sie die Ausschnitte ihrer zeitlichen Abfolge nach, während ich feststelle, wer unser Klient eigentlich ist.« Er zog ein rot eingebundenes Buch aus einer Reihe von Nachschlagewerken neben dem Kaminsims 38 . »Da haben wir ihn«, sagte er; er setzte sich und legte das Buch aufgeschlagen auf seine Knie. »›Robert Walsingham de Vere St. Simon, zweiter Sohn des Herzogs von Balmoral‹ – hm! – ›Wappen: Azur, drei Zackensterne über einem schwarzen Querbalken. Geboren 1846.‹ Er ist einundvierzig Jahre alt, also reif genug für eine Heirat. War in einer der letzten Regierungen Stellvertretender Minister für die Kolonien. Der Herzog, sein Vater, war früher einmal Außenminister. Sie haben in direkter Linie Plantagenet 39 -Blut geerbt, und Tudor 40 auf der weiblichen Seite. Ha! Nun ja, das ist alles nicht besonders aufschlußreich. Ich fürchte, Watson, ich muß mich an Sie halten, um etwas Greifbareres zu bekommen.«
»Ich habe kaum Schwierigkeiten, das zu finden, was ich suche«, sagte ich, »denn die Ereignisse liegen nicht lange zurück, und die Angelegenheit erschien mir bemerkenswert. Ich habe Sie aber nicht darauf aufmerksam machen wollen, weil ich wußte, daß Sie mit einer Nachforschung beschäftigt waren, und ich weiß ja, daß Sie dabei nicht mit anderen Dingen behelligt werden wollen.«
»Ach, Sie meinen das kleine Problem mit dem Möbelwagen vom Grosvenor Square. Das ist inzwischen völlig geklärt – obwohl es ja eigentlich von Anfang an offensichtlich war. Bitte geben Sie mir die Resultate Ihrer Zeitungsauslese.«
»Das hier ist die erste Meldung, die ich finden kann. Sie steht in den Gesellschaftsnachrichten der
Morning Post
und ist, wie Sie sehen, einige Wochen alt. Es heißt hier: ›Eine Hochzeit wurde vereinbart und soll, wenn die Gerüchte sich bewahrheiten, bald stattfinden, und zwar zwischen Lord Robert St. Simon, dem zweiten Sohn des Herzogs von Balmoral, und Miss Hatty Doran, der einzigen Tochter von Aloysius Doran, Esq., aus San Francisco, Cal., U.S.A.‹ Das ist alles.«
»Knapp und sachlich«, bemerkte Holmes; er streckte seine langen Beine dem Feuer entgegen.
»In der gleichen Woche war in einem der
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