Die Abenteuer des Sherlock Holmes
um Gottes willen eine friedliche Pfeife rauchen und unsere Gedanken für ein paar Stunden auf etwas Fröhlicheres lenken.«
Gegen neun Uhr wurde das Licht zwischen den Bäumen gelöscht, und um das Herrenhaus herum war alles dunkel. Zwei Stunden vergingen langsam, und dann Schlag elf leuchtete plötzlich ein einzelnes helles Licht genau vor uns auf.
»Das ist unser Zeichen«, sagte Holmes. Er sprang auf. »Es kommt aus dem mittleren Fenster.«
Als wir hinausgingen, wechselte er einige Worte mit dem Wirt, dem er erklärte, wir begäben uns auf einen späten Besuch zu einem Bekannten und würden möglicherweise dort die Nacht verbringen. Einen Augenblick später standen wir auf der dunklen Straße, frostiger Wind blies uns ins Gesicht, und ein gelbes Licht blinzelte vor uns durch die Düsternis, uns auf unserer dunklen Mission zu leiten.
Es war kaum schwierig, auf das Gelände des Herrenhauses vorzudringen, denn in der alten Mauer des Parks klafften unausgebesserte Breschen. Wir suchten uns einen Weg unter den Bäumen, erreichten die Rasenfläche, überquerten sie und wollten eben durch das Fenster einsteigen, als aus einer Gruppe von Lorbeerbüschen etwas hervorschoß, das ein gräßliches, verformtes Kind zu sein schien; es warf sich mit zuckenden Gliedern ins Gras und rannte dann rasch über den Rasen in die Dunkelheit hinein.
»Mein Gott!« flüsterte ich. »Haben Sie das gesehen?«
Holmes war für einen Augenblick ebenso erschrocken wie ich. In der Erregung schloß seine Hand sich wie ein Schraubstock um mein Handgelenk. Dann brach er in ein leises Gelächter aus und brachte seine Lippen an mein Ohr.
»Netter Haushalt hier«, murmelte er, »das ist der Pavian.«
Ich hatte die seltsamen Haustiere vergessen, denen der Doktor seine Zuneigung erwies. Es gab auch noch einen Geparden; wir mochten ihn vielleicht im nächsten Moment auf unseren Schultern vorfinden. Ich muß gestehen, daß mein Herz leichter war, als ich, Holmes’ Beispiel folgend, meine Schuhe ausgezogen hatte und mich im Schlafzimmer befand. Mein Gefährte schloß geräuschlos die Läden, setzte die Lampe auf den Tisch und sah sich im Raum um. Alles war so, wie wir es bei Tage gesehen hatten. Dann glitt er zu mir herüber, legte die Hände zu einem Schalltrichter zusammen und hauchte mir wieder etwas ins Ohr, so leise, daß ich große Mühe hatte, die Wörter zu verstehen.
»Das kleinste Geräusch würde unsere Pläne zunichte machen.«
Ich nickte, um zu zeigen, daß ich verstanden hatte.
»Wir dürfen kein Licht anlassen. Er würde es durch den Luftschacht sehen.«
Ich nickte abermals.
»Schlafen Sie nicht ein; davon könnte Ihr Leben abhängen. Halten Sie Ihre Waffe bereit, falls wir sie brauchen sollten. Ich werde mich neben das Bett setzen; setzen Sie sich hier in den Sessel.«
Ich zog meinen Revolver hervor und legte ihn an die Kante des Tisches.
Holmes hatte einen langen dünnen Stock mitgebracht, den er nun neben sich auf dem Bett deponierte. Dazu legte er eine Streichholzschachtel und einen Kerzenstummel. Dann löschte er die Lampe, und wir waren von Dunkelheit umgeben.
Wie sollte ich je diese schreckliche Nachtwache vergessen? Ich konnte keinen Laut hören, nicht einmal einen Atemzug, und doch wußte ich, daß mein Gefährte mit offenen Augen nur wenige Fuß entfernt saß, in eben dem Zustand nervöser Anspannung, in dem auch ich mich befand. Die Läden sperrten auch den kleinsten Lichtstrahl aus, und so warteten wir in vollkommener Finsternis. Von außerhalb drang bisweilen der Schrei eines Nachtvogels zu uns, und einmal hörten wir genau vor unserem Fenster einen langgezogenen, katzenhaften Winselton, der uns mitteilte, daß der Gepard tatsächlich frei herumlief. In der Ferne konnten wir den tiefen Klang der Glocke der Pfarrkirche vernehmen, die alle Viertelstunden schlug. Wie lang diese Viertelstunden wurden! Zwölf Uhr, und eins, und zwei, und drei, und noch immer saßen wir schweigend dort und warteten darauf, daß irgend etwas sich ereigne.
Plötzlich glomm ein jähes Licht im Luftschacht auf, das sogleich wieder erlosch, aber ihm folgte ein starker Geruch von brennendem Öl und erhitztem Metall. Im Nebenraum hatte jemand eine Blendlaterne entzündet. Ich hörte, wie jemand sich leise bewegte, dann war alles wieder still, wenngleich der Geruch immer kräftiger wurde. Eine halbe Stunde lang saß ich so mit angespanntem Gehör. Dann war plötzlich ein neues Geräusch zu vernehmen – ein sanfter, beruhigender Klang,
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