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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Durcheinander verstand niemand die Befehle, die Ariosto brüllte.
    Wenige Minuten nur, und der Dorfplatz war von Blut getränkt: Drei Soldaten waren von Pfeilen verletzt und einige Indianer tot; dort lag der tote Karakawe und daneben Mauro Carías, der sich nicht mehr bewegte. Eine Frau war von den Kugeln getroffen worden, und einen Schritt weiter lag das Kind, das sie im Arm gehalten hatte. Da tat Ludovic Leblanc, der sich seit dem Auftauchen des Stammes in sicherer Entfernung hinter einem Baum verschanzt hatte, etwas völlig Unerwartetes. Bisher ein einziges Nervenbündel, fasste er sich nun ein Herz, als er dieses Kind sah, das da allein auf der Erde lag, während ringsum noch der Kampf tobte. Er rannte über den Platz und schloss es in die Arme. Es war einSäugling, wenige Monate alt, bespritzt mit dem Blut seiner Mutter und erbärmlich schreiend. Leblanc blieb inmitten des Tumults sitzen, drückte das Kind an seine Brust und zitterte vor Wut und Verzweiflung. Hier wurden seine schlimmsten Albträume wahr, nur dass sich die Rollen vertauscht hatten: Nicht die Indianer waren die Wilden, sondern sie selbst. Endlich rappelte er sich hoch, ging zu Kate Cold, die gerade versuchte, mit ein bisschen Wasser das Blut vom Mund ihres Enkels abzuwischen, und reichte ihr das Kind.
    »Also, Cold, Sie sind doch eine Frau, Sie wissen doch, wie man das macht«, sagte er.
    Überrumpelt nahm Kate den Säugling mit weit ausgestreckten Armen in Empfang, als wäre er ein Blumenstrauß. Sie hatte schon so lange kein kleines Kind mehr im Arm gehabt, dass sie kaum noch wusste, wie man das macht.
    Mittlerweile war auch Nadia wieder auf die Füße gekommen und betrachtete den mit Leichen übersäten Kampfplatz. Sie ging zu den Indianern, wollte wissen, ob sie jemanden kannte, aber ihr Vater zog sie weg, nahm sie in die Arme, rief sie beim Namen und redete tröstend auf sie ein. Nadia hatte eben noch sehen können, dass Iyomi und Tahama nicht unter den Toten waren, und dachte, dass die Nebelmenschen wenigstens noch auf zwei ihrer Häuptlinge zählen konnten, denn die anderen beiden, Aguila und Jaguar, hatten sie im Stich gelassen.
    ~
    »Alle an den Baum da!«, brüllte Ariosto die Expeditionsteilnehmer an. Der Hauptmann war kreidebleich, und seine Hand mit der Pistole zitterte. Die Sache war ganz schlecht gelaufen.
    Kate Cold, Timothy Bruce, Professor Leblanc, César Santos, Nadia und Alex gehorchten. Alex hatte einen kaputten Zahn, den Mund voller Blut und war von dem Schlag auf seinen Unterkiefer noch immer benommen. Nadia schien einen Schock zu haben, einen Schrei in ihrer Brust zu unterdrücken, sie starrte die toten Indianer an und die Soldaten, die sich wimmernd am Boden krümmten. Dr. Omayra Torres hockte tränenüberströmt undallem entrückt neben Mauro Carías und hielt seinen Kopf in ihrem Schoß. Sie küsste sein Gesicht, flehte ihn an, nicht zu sterben, sie nicht zu verlassen, während sein Blut ihre Kleider rot färbte. »Wir wollten heiraten …«, sagte sie wieder und wieder in einem endlosen Refrain.
    »Er hat die Ärztin gemeint! Mauro Carías hat doch gesagt, es würde jemand mitfahren, dem er vertraut. Und wir haben die ganze Zeit gedacht, er meint Karakawe!«, flüsterte Alex Nadia zu, aber sie war so in ihrem Grauen versunken, dass sie es nicht hörte.
    Es war klar, dass der Unternehmer die Ärztin gebraucht hatte, wollte er die Indianer mit einer Masernepidemie töten. Seit Jahren starben ja schon massenhaft Indianer an dieser und an anderen Krankheiten, obwohl die Regierung versuchte, sie davor zu schützen. Aber wenn eine Epidemie erst einmal ausgebrochen war, konnte man wenig tun, weil die Indianer keine Abwehrkräfte dagegen hatten; die Ärztin hatte doch selbst gesagt, dass ihr Immunsystem den Krankheiten der Weißen nichts entgegensetzen konnte. Und wenn eine einfache Erkältung manchmal schon tödlich war, wie schlimm waren dann erst andere Krankheiten? Die Mediziner, die untersuchen sollten, weshalb alle Vorsorgemaßnahmen nichts halfen, standen vor einem Rätsel. Keiner konnte sich vorstellen, dass Omayra Torres, die Person, die die Indianer gegen drohende Krankheiten impfen sollte, ihnen den Tod brachte, damit sich ihr Geliebter des Indianerlandes bemächtigen konnte.
    Ohne Verdacht zu erregen, musste diese Frau schon etlichen Stämmen die tödlichen Spritzen gegeben haben, so wie sie das auch mit den Nebelmenschen hatte tun wollen. Was hatte ihr Mauro Carías nur für diese Unmenschlichkeit versprochen?

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