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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Dr. Omayra Torres Karakawe dabei ertappte, wie er in ihrer Kiste mit dem Impfstoff kramte. Es war nicht das erste Mal. Sofort war Mauro Carías zur Stelle und drohte dem Indianer, wenn er sich noch einmal in der Nähe der Medikamente blicken lasse, werde Hauptmann Ariosto ihn unverzüglich festnehmen.
    Am Abend, als schon niemand mehr glaubte, dass die Alte zurückkommen würde, nahm im Lager der ganze Stamm der Nebelmenschen Gestalt an. Zuerst sahen sie die Frauen und Kinder, geheimnisvoll zart und körperlos. Sie brauchten einige Sekunden, ehe sie auch die Männer wahrnahmen, die eigentlich zuerst herangekommen waren und sich in einem Halbkreis aufgestellt hatten. Angeführt von Tahama, tauchten sie aus dem Nichts auf, standen stumm und ernst da, achote-rot, kohlschwarz, kalkweiß und blattgrün für den Kampf bemalt, mit Federn, Zähnen, Klauen undSamenkörnern geschmückt, mit all ihren Waffen fest in den Händen. Sie waren mitten im Lager, verschwammen aber so sehr mit der Umgebung, dass man die Augen zusammenkneifen musste, um sie deutlich zu erkennen. Sie wirkten schwerelos, flüchtig, als hätte sie jemand vor diese Kulisse skizziert, aber ohne Zweifel waren sie auch wild.
    Eine ganze Weile starrten die beiden Gruppen einander wortlos an, hier die durchsichtigen Indianer, dort die fassungslosen Fremden. Endlich durchbrach Mauro Carías die allgemeine Benommenheit, wurde geschäftig und befahl den Soldaten, Essen und Geschenke zu verteilen. Mit schweren Herzen sahen Alex und Nadia, wie die Frauen und Kinder den Krimskrams entgegennahmen, mit dem die Nahab versuchten, sich bei ihnen einzuschmeicheln. So unschuldig diese Dinge auch daherkamen, sie bedeuteten doch für die Indianer den Anfang vom Ende ihres gewohnten Lebens. Tahama und seine Krieger rührten sich nicht, blieben wachsam und legten ihre Waffen nicht aus der Hand. Am gefährlichsten waren ihre dicken Holzknüppel, mit denen sie von einem Moment auf den anderen losschlagen konnten, dagegen dauerte das Zielen mit Pfeil und Bogen etwas länger und würde den Soldaten Zeit zum Schießen geben.
    »Erklär ihnen das mit der Impfung, meine Hübsche«, wandte sich Mauro Carías an Nadia.
    »Nadia, ich heiße Nadia Santos«, antwortete sie.
    »Es ist nur zu ihrem Besten, Nadia, zu ihrem Schutz«, schaltete sich Dr. Omayra Torres ein. »Sie haben bestimmt Angst vor der Nadel, aber die tut ja weniger weh als ein Moskitostich. Vielleicht wollen die Männer den Frauen und Kindern mit gutem Beispiel vorangehen …«
    »Warum gehen Sie nicht mit gutem Beispiel voran?« Nadia sah Mauro Carías herausfordernd an.
    Dem Unternehmer fiel das perfekte Dauerlächeln aus dem sonnengebräunten Gesicht, und für einen kurzen Moment flackerte eine grenzenlose Panik in seinen Augen auf. Alex, der die Szene beobachtete, fand das etwas übertrieben. Klar, manche Leute hatten Angst vor Spritzen, aber Carías machte ein Gesicht, als wäre er gerade Dracula begegnet.
    Nadia übersetzte, und nach einem langen Gespräch, in dem häufiger der Name Rahakanariwa fiel, war Iyomi bereit, darüber nachzudenken und die Angelegenheit mit ihrem Stamm zu beraten. Sie waren noch mitten in den Verhandlungen über die Impfung, da murmelte Iyomi plötzlich einen für die Fremden unhörbaren Befehl, und so schnell, wie sie aufgetaucht waren, hatten sich die Nebelmenschen wieder verflüchtigt. Wie Schatten zogen sie sich in den Wald zurück, ohne dass ein einziger Zweig knackte, auch nur ein Wort fiel oder man einen einzigen der Säuglinge weinen hörte. Den Rest der Nacht hielten Ariostos Soldaten Wache und erwarteten jeden Augenblick einen Angriff.
    ~
    Nadia wurde um Mitternacht davon wach, dass Dr. Omayra Torres das Zelt verließ. Wahrscheinlich musste sie nur mal, aber etwas trieb Nadia dazu, ihr zu folgen. Kate Cold schnarchte in dem ihr eigenen Tiefschlaf und bekam von dem Gewusel ihrer Zeltgenossinnen nichts mit. Wie man unbemerkt bleibt, wusste Nadia inzwischen, und so schlich sie lautlos wie eine Katze der Ärztin nach. Sie duckte sich hinter einen Farn, wo sie im fahlen Licht des Mondes die Umrisse der Frau erkennen konnte. Eine Minute später kam noch jemand, und Nadia war verdattert, denn dieser jemand schlang seine Arme um die Hüfte der Ärztin und küsste sie.
    »Ich habe Angst«, sagte sie.
    »Das musst du nicht, mein Liebling. Alles wird gut. In ein paar Tagen sind wir hier so weit und können wieder nach Hause. Du weißt, ich brauche dich …«
    »Du liebst mich doch,

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