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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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packte Kate sie an beiden Armen.
    »Nadia, hör mir zu … Du bist nicht unsichtbar. Niemand ist unsichtbar, das ist Quatsch. Du kannst hier nicht raus.«
    »Und ob ich das kann. Sei bitte leise, Kate. Und pass auf, dass dem Kind nichts passiert. Ich komme wieder, und dann geben wir es den Nebelmenschen zurück.«
    Nadia sagte das so überzeugt und ruhig, dass Kate sie unwillkürlich losließ.
    Wie sie das von den Indianern gelernt hatte, konzentrierte sich Nadia so lange darauf, zu verschwinden, bis sie zu einem durchsichtigen Spuk geworden war. Dann öffnete sie leise den Reißverschluss des Zeltes und krabbelte im Schutz der Dunkelheit hinaus. Lautlos huschte sie wenige Meter an dem Tisch vorbei, wo Professor Leblanc mit Hauptmann Ariosto Karten spielte, an den Wachen, an dem Baum, an den Alex gefesselt war, und keiner sah sie. Schon war sie aus dem flackernden Lichtkreis von Lampen und Lagerfeuer geglitten und verschwand zwischen den Bäumen. Kurz darauf unterbrach der Ruf der Eule das Gequake der Frösche.
    ~
    Alex war es mindestens genauso kalt wie den Soldaten. Er schlotterte, seine Beine waren eingeschlafen und die Hände geschwollen wegen der engen Fesseln um seine Gelenke. Der Unterkiefer tat ihm weh; so wie die Haut spannte, musste er eine Riesenbeule haben. Mit der Zunge tastete er nach seinem abgebrochenen Zahn und spürte, wie dick die Stelle war, wo ihm der Hauptmann mit dem Knauf der Pistole eins übergezogen hatte. Er durfte nicht daran denken, wie viele Nachtstunden noch vor ihm lagen, und schon gar nicht daran, dass Ariosto ihn vielleicht umbringen würde. Warum sonst hatte er ihn von den anderen getrennt? Was hatte der bloß mit ihm vor? Jetzt der schwarze Jaguar sein, so stark, wild und behände sein wie die Raubkatze, sich in ein Muskelpaket mit Krallen und Zähnen verwandeln und mit Ariosto abrechnen. Er dachte an die Flasche in seiner Reisetasche und daran, dass er lebend aus dem Auge der Welt herauskommen musste, um seiner Mutter das Wasser des Lebens zu bringen. Die Erinnerung an seine Familie war verschwommen wie ein unscharfes Foto, auf dem das Gesicht seiner Mutter kaum mehr war als ein bleicher Fleck.
    Er war hundemüde, schon fiel ihm der Kopf auf die Brust, daspürte er, wie kleine Hände nach ihm griffen. Erschrocken fuhr er hoch. Es war Borobá, der da an seinem Hals schnüffelte, ihn umarmte, sanft in sein Ohr gluckste. Borobá, Borobá, flüsterte Alex und war so froh, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Es war ja bloß ein Affe, nicht größer als ein Eichhörnchen, aber ihn bei sich zu haben machte Alex wieder Mut. Er ließ sich von dem Tier streicheln und fühlte sich schon besser. Dann merkte er, dass neben ihm noch jemand war, jemand, der sich lautlos und unsichtbar im Schatten des Baumes verbarg. Nadia, dachte Alex zuerst, wusste aber fast im gleichen Augenblick, dass es Walimai war. Der kleine Schamane musste dicht neben ihm sein, denn Alex stieg sein rauchiger Geruch in die Nase, aber sosehr er auch blinzelte, er sah ihn nicht. Jetzt legte Walimai ihm eine Hand auf die Brust, als wollte er seinen Herzschlag spüren. Die Hand des Freundes, ihr Gewicht, ihre Wärme, ließen Alex aufatmen; er wurde ruhiger, hörte auf zu schlottern und konnte wieder klar denken. Das Messer, das Messer, flüsterte er. Er hörte die Klinge aufschnappen und gleich darauf, wie das Metall über die Fesseln schabte. Er hielt den Atem an. Es war stockfinster, und Walimai hatte noch nie in seinem Leben ein Messer benutzt, womöglich würde er ihm die Handgelenke aufschlitzen, aber im Nu hatte der Alte die Bänder durchtrennt und führte Alex am Arm hinein in den Wald.
    Im Lager hatte Hauptmann Ariosto das Kartenspiel für beendet erklärt, und mittlerweile war auch die Wodkaflasche leer. Ludovic Leblanc fiel nichts mehr ein, womit er ihn hätte ablenken können, und noch immer fehlten viele Stunden bis zum Sonnenaufgang. Seine Rechnung war nicht aufgegangen, der Hauptmann wirkte kein bisschen betrunken, der Kerl war wirklich hart im Nehmen. Der Professor sagte, sie könnten doch versuchen, eine Funkverbindung mit der Kaserne in Santa María de la Lluvia zu bekommen. Sie drehten auch ein ganze Weile an den Knöpfen des Geräts herum, und es rauschte und knackte laut, aber man verstand rein gar nichts.
    Ariosto war beunruhigt; dass ein Teil seiner Männer ohne ihn zurückgeflogen war, behagte ihm gar nicht, er musste so schnell wie möglich in die Kaserne, damit er unter Kontrolle behielt, was

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