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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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abspielte: Es kamen immer weniger Kinder zur Welt, und die wenigsten blieben lange am Leben. Auch die Erwachsenen ereilte ein grausiges Schicksal. Sie waren nicht mehr so groß wie früher und wurden immer schwächlicher, wie die Fliegen starben sie weg, und nur ein paar wenige waren überhaupt noch kräftig genug, die alltäglichen Arbeiten zu verrichten, sich um die Chegnos zu kümmern, Kräuter zu sammeln und auf die Jagd zu gehen. Es war eine Strafe der Berggötter oder Dämonen, da war sich Grr-ympr sicher. Die Yetis hatten versucht, den Zorn ihrer Götter durch Opfer zu besänftigen, hatten viele ihrer Horde in Stücke gerissen oder in die kochenden Quellen getrieben, aber ihr Tod hatte den Fluch nicht abwenden können.
    Grr-ympr blickte auf ein langes Leben zurück. Ihre Herrschaft stützte sich auf ihre Erinnerungen, auf Erfahrungen, über die sonst niemand mehr verfügte. Die Horde war davon überzeugt, dass sie übernatürliche Kräfte besaß, und seit vielen Jahren hofften alle darauf, sie würde sich mit den Göttern verständigen, aber ihre Zauberkunst hatte nichts bewirkt, und bald würde keiner mehr am Leben sein. Wieder und wieder hatte Grr-ympr die guten Götter um Hilfe angerufen, und jetzt, endlich, waren sie gekommen: Sie hatte sie sofort erkannt. Deshalb hatte sie befohlen, den beiden nichts anzutun.
    Der Prinz schielte zu seinem Meister hinüber:
    »Ich glaube, wenn sie mitkriegen, dass wir keine Götter sind, werden sie nicht sehr erfreut sein.«
    »Vielleicht … Aber im Vergleich zu ihnen sind wir Halbgötter, auch wenn unsere Schwächen ohne Zahl sind.« Der Lama zwinkerte ihm zu.
    Grr-ympr erzählte davon, dass die Yetis einmal groß gewesen waren und massig, und ihr Pelz war so dicht gewesen, dass er sie auch in den kältesten Winterstürmen hoch oben in den Bergen geschützt hatte. Die Knochen in der Schlucht stammten von diesen Ahnen, den Riesenyetis. Sie wurden dort in Ehren gehalten, auch wenn sich außer ihr niemand mehr an sie erinnern konnte. Grr-ympr war noch sehr klein gewesen, als ihre Sippe das Tal mit den heißen Quellen entdeckt hatte, wo die Temperatur erträglicher und das Leben leichter war, weil hier Pflanzen wuchsen und es Tiere gab, die man jagen konnte, Mäuse etwa und Ziegen, zusätzlich zu den Chegnos.
    Die Alte erinnerte sich auch daran, dass sie schon einmal in ihrem Leben Götter wie Tensing und Dil Bahadur gesehen hatte, die ins Tal gekommen waren, um nach Pflanzen zu suchen. Im Austausch gegen die Pflanzen hatten sie den Yetis wichtige Dinge beigebracht, die ihr Leben verbessert hatten. Sie hatten ihnen gezeigt, wie man die Chegnos zähmt und ihr Fleisch kocht, obwohl mittlerweile niemand mehr die Kraft aufbrachte, Steine gegeneinander zu schlagen und ein Feuer zu entfachen. Was die Yetis an Beute kriegen konnten, verschlangen sie roh, und wenn der Hunger zu groß wurde, schlachteten sie ihre Chegnos oder aßen die Leichen der eigenen Gefährten. Die Götter hatten ihnen auch beigebracht, einander Namen zu geben. Grr-ympr bedeutete in der Yetisprache »weise Frau«.
    Es war lange her, dass der letzte Gott im Tal gewesen war, lasen sie in Grr-ymprs Gedanken. Nach Tensings Schätzung war seit mindestens fünfzig Jahren, seit die Chinesen in Tibet einmarschiert waren, niemand mehr auf der Suche nach Heilpflanzen hierher gekommen. Die Yetis wurden normalerweise nicht sehr alt, und außer dieser Greisin hatte keiner jemals einen Menschen gesehen, aber es gab Legenden bei ihnen von den weisen Lamas.
    ~
    Tensing zwängte sich auf allen vieren in eine der Höhlen, die innen geräumiger war als die anderen und zweifellos von der Horde als Versammlungsort genutzt wurde, als eine Art Ratszimmer.Drinnen setzten sich Dil Bahadur und Grr-ympr neben ihn, und nach und nach kamen die übrigen Yetis herein, einige von ihnen so geschwächt, dass sie nur mühsam über den Boden krochen. Die Kämpfer dieser jämmerlichen Schar, von denen die Besucher so unfreundlich empfangen worden waren, blieben draußen und bewachten mit ihren Keulen und Faustkeilen den Höhleneingang.
    Einer nach dem anderen gingen die Yetis zu den Sitzenden, insgesamt waren es etwa zwanzig, die zwölf Kämpfer nicht mitgezählt. Es waren fast ausnahmslos Yetifrauen, die ihrem Fell und den Zähnen nach zu urteilen jung waren, aber sterbenskrank aussahen. Sehr behutsam, um ihnen keine Angst einzujagen, untersuchte Tensing jede Einzelne. Die letzten fünf hatten ihre Säuglinge mitgebracht, die Einzigen, die noch

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