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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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genau auszumalen, was seine Freundin gerade durchmachte. Jede Minute war kostbar: Er musste sie finden, ehe es zu spät war. Wie nie zuvor hätte er jetzt den Jagdinstinkt des Jaguars brauchen können, aber er war viel zu unruhig, um ihn in sich wachzurufen. Der Schweiß lief ihm über Stirn und Rücken, sein Hemd war klatschnass.
    ~
    Nadia und Pema hatten ihre Angreifer nicht gesehen, es ging alles sehr schnell. Zwei dunkle Decken wurden über sie geworfen, sie wurden mit Riemen verschnürt und wie zwei Pakete hochgehoben. Nadia hatte geschrien und um sich getreten, aber dann traf sie ein harter Hieb am Kopf, und sie verlor das Bewusstsein. Pema dagegen hatte sich nicht gewehrt, ihr war klar, dass sie im Moment sowieso keine Chance hatte, besser, sie sparte ihre Kräfte für später. Die Entführer warfen die Mädchen bäuchlings aufs Pferd, schwangen sich hinter ihnen hinauf und hielten sie während des Ritts mit eisernem Griff fest. Ihr Sattelzeug bestand aus einer zweilagigen Decke, und sie dirigierten ihre Pferde bloß durch den Druck der Schenkel. Sie waren erstklassige Reiter.
    Nach einer kurzen Weile kam Nadia wieder zu sich und versuchte, noch benommen, zu verstehen, was hier geschah. Zwar war sie nie geritten, aber dass sie jetzt auf einem galoppierenden Pferd lag, das wusste sie sofort. Jeder Hufschlag des Tieres gab ihr einen Stoß in den Magen und auf den Brustkorb, sie konnte unter der Decke kaum atmen, und auf dem Rücken spürte sie den Druck einer riesigen Hand, die sie wie eine Klaue gepackt hielt.
    Von dem schweißnassen Pferd und den Kleidern des Reiters ging ein durchdringender Geruch aus, aber eben das machte Nadia wieder wach und gab ihr ein paar Anhaltspunkte. Sie war in der Natur und mit Tieren aufgewachsen und hatte eine feine Nase. Ihr Entführer roch nicht wie die Menschen im Verbotenen Reich, die außerordentlich reinlich waren. Bei den Leuten, denen sie hier begegnet war, mischte sich unter den natürlichen Duft von Seide, Baumwolle und Wolle ein Hauch von den Gewürzen, die sie zum Kochen verwendeten, und von dem Mandelöl, mit dem sich alle das Haar einrieben, bis es schimmerte. Jemanden aus dem Verbotenen Reich hätte Nadia mit geschlossenen Augen am Geruch erkannt. Der Mann, der sie festhielt, war schmutzig, als würde seine Kleidung nie gewaschen, und er verströmte einen bitteren Gestank nach Knoblauch, Kohlen, Schießpulver. Zweifellos war er nicht hier zu Hause.
    Nadia lauschte gespannt und schätzte, dass außer dem Pferd ihres Entführers noch mindestens vier andere in der Gruppe dabei waren, fünf vielleicht. Sie ritten stetig bergan. Als das Pferd in denSchritt fiel, wurde ihr klar, dass sie den Pfad verlassen haben mussten und jetzt im offenen Gelände unterwegs waren. Sie konnte die Hufe auf dem Geröll hören und spürte, wie das Tier sich anstrengen musste, um den Hang hinaufzukommen. Manchmal rutschte es weg, wieherte, und die Stimme des Reiters spornte es in einer Sprache an, die Nadia noch nie gehört hatte.
    Alle Knochen taten ihr weh, aber wegen der Fesseln konnte sie ihre Lage kein bisschen verändern. Die Stöße gegen ihre Rippen waren so schmerzhaft, dass sie Angst bekam, sie würden brechen. Wie konnte sie bloß eine Spur hinterlassen? Jaguar würde bestimmt alles daransetzen, sie zu finden, aber diese Berge waren wie ein Irrgarten aus Felswänden und Klüften. Ein Schuh, ich müsste einen Schuh fallen lassen, dachte sie, aber das war unmöglich, denn sie trug ihre geschnürten Bergschuhe.
    Irgendwann später, als die beiden Mädchen schon vollkommen zerschlagen und halb besinnungslos waren, hielten die Reiter an. Mühsam versuchte Nadia, wieder zu sich zu kommen, und lauschte angestrengt. Die Reiter stiegen ab, sie wurde erneut hochgehoben und wie ein Bündel auf die Erde geworfen. Sie fiel auf Steine. Sie hörte Pema wimmern, und gleich darauf löste jemand die Riemen, und die Decke wurde weggerissen. Nadia holte tief Luft und schlug die Augen auf.
    Das Erste, was sie sah, waren das schwarze Himmelsgewölbe und der Mond, dann zwei dunkle, bärtige Gesichter, die sich über sie beugten. Der nach Knoblauch, Schnaps und etwas Ähnlichem wie Tabak stinkende Atem der Männer traf sie wie ein Fausthieb. Zwei tief in den Höhlen sitzende Augenpaare blitzten sie böse an, und dann lachten die Männer höhnisch auf. Sie hatten kaum noch Zähne im Mund, und die paar übrig gebliebenen waren fast schwarz. Leute mit solchen Zähnen hatte Nadia in Indien gesehen, und Kate

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