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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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vorhergehenden. Sie sahen sich um und schrien fast gleichzeitig auf, obwohl irgendwo in ihrem Kopf eine Stimme sagte, dass sie sich alles, was sie sahen, nur einbildeten.
    Sie waren in der Hölle, umringt von Ungeheuern und Dämonen, die geifernd und heulend wie eine Rotte Raubtiere auf sie zudrängten. Überall sahen sie gemarterte Menschen, Tote, Blutlachen und zerstückelte Körper. In ihren Ohren schrillten erbärmliche Schmerzensschreie, und dazwischen riefen hungrige Gespensterstimmen heiser ihre Namen.
    Plötzlich sah Alex zum Greifen nahe seine Mutter vor sich, und über ihr hockte ein riesenhafter schwarzer Geier, der sie mit seinen Fängen gepackt hielt. Alex streckte die Hände nach ihr aus, wollte sie zu sich herziehen, und als er sie eben zu fassen bekam, riss der Vogel den Schnabel auf und verschlang ihren Kopf. Alex schrie aus Leibeskräften.
    Nadia stand mit rudernden Armen auf einem Stahlträger, der vom Dach eines New Yorker Wolkenkratzers ragte. Tief unter ihren Füßen glühte ein Meer brodelnder Lava. Sie taumelte, der Schwindel nahm ihr jeden klaren Gedanken, sie spürte nur, wie der Stahlträger kippte und kippte. Der Abgrund zog sie unwiderstehlich in die Tiefe.
    Dil Bahadur fühlte seinen Geist wie einen Blitz über denHimmel zucken in die Ruinen der Klosterburg, wo er seinen Vater in Tensings Armen sterben sah. Dann wälzte sich ein Heer mordgieriger Geschöpfe über die Bergpässe auf das Reich des Goldenen Drachen zu. Und nur er stand da, nackt und ohne Waffen.
    Die drei sahen, wovor sie sich am meisten fürchteten, ihre tief sitzenden Ängste, ihre Albträume, ihre Schwächen. Es war eine Reise in die verbotenen Kammern des Ichs. Und doch war es für sie weit weniger grauenvoll als für Tex Gürteltier und die Skorpionkrieger, die hier von den Schrecken ihrer Vergangenheit eingeholt worden waren.
    In den Jahren seiner Ausbildung hatte der Prinz sich selbst gut kennen gelernt, und das sollte ihm jetzt helfen. Mit blanker Willenskraft kämpfte er die Angstbilder nieder, die auf ihn einstürmten, und ging ein Stück weiter in den Raum hinein.
    »Alles, was wir sehen, ist Illusion«, sagte er, fasste Nadia und Alexander an der Hand und zog sie hinter sich her Richtung Ausgang.
    Alex konnte die Koordinaten auf dem Display nicht erkennen, aber dass man auf dem Film bloß einen leeren Raum sah, drang irgendwie zu ihm durch, also hatte Dil Bahadur Recht und er bildete sich dieses albtraumhafte Spektakel nur ein. Am Ausgang angekommen, setzten sie sich hin und lehnten sich aneinander, um eine Weile zu verschnaufen, bis sie die Schreckensbilder unter Kontrolle brachten, auch wenn sie nicht gänzlich verschwanden. Sich gegenseitig Mut machend, rappelten sie sich schließlich hoch. Alex dachte an den König, der die Tür anscheinend ungestört erreicht hatte; bestimmt hatte er gelernt, das Pulver nicht einzuatmen, oder vielleicht besaß er auch ein Gegengift. Auf dem Film sah es jedenfalls so aus, als wäre der Monarch nicht ein einziges Mal vor etwas zurückgeschreckt.
    ~
    Im letzten Raum des Labyrinths vor dem Goldenen Drachen, dem weitläufigsten von allen, waren die Dämonen und Horrorvisionen auf einen Schlag verschwunden, und stattdessen erblickten sie eine wunderschöne Landschaft. Alle Beklemmung war wieweggeblasen und hatte einem unbändigen Glücksgefühl Platz gemacht. Sie fühlten sich beschwingt, stark, zu allem fähig. Im warmen Licht von Hunderten kleiner Öllampen lag vor ihnen ein Garten, vom Boden bis hinauf zu den Baumkronen eingehüllt in weichen, rosafarbenen Dunst. Glockenheller Gesang war zu hören, und es duftete nach wilden Blumen und tropischen Früchten. Wo die Decke hätte sein sollen, wölbte sich der dämmrige Abendhimmel, vor dem schillernde Vögel von Baum zu Baum flogen. Ungläubig rieben sie sich die Augen.
    »Das ist auch nicht wahr. Bestimmt sind wir immer noch high«, flüsterte Nadia.
    »Sehen wir alle dasselbe?«, fragte Alex. »Ich sehe einen Garten.«
    »Ich auch«, bestätigte Nadia.
    »Und ich. Wenn wir alle drei dasselbe sehen, dann ist es keine Einbildung. Das ist eine Falle, vielleicht die gefährlichste von allen. Ich schlage vor, wir fassen nichts an und sehen zu, dass wir hier wegkommen …«
    »Du meinst, wir träumen nicht?« Alex blinzelte, um die letzten Lichtblitze, die ihm von dem goldenen Pulver noch vor den Augen tanzten, zu verscheuchen. »Sieht aus wie der Garten Eden.«
    »Wie was für ein Garten?«, fragte Dil Bahadur nach.
    »Der Garten

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