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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Eden, der aus der Bibel, wo Gott die ersten beiden Menschen hineingestellt hat. So einen Garten haben, glaube ich, fast alle Religionen. Das Paradies halt, dort wo ewige Schönheit und Glückseligkeit ist«, sagte Alex.
    Kurz überlegte er, ob das alles hier vielleicht eine einzige große Computeranimation oder eine Leinwandprojektion war, aber so modern konnte die Technik doch nicht sein. Schließlich war der Palast einige hundert Jahre alt.
    Umschwärmt von hauchzarten Schmetterlingen, lösten sich jetzt drei menschliche Gestalten aus dem Dunst, zwei Mädchen und ein Junge, alle drei von strahlender Schönheit, den Wind im weichen Haar, in den fließenden, bestickten Seidengewändern und den großen goldgefiederten Schwingen auf ihrem Rücken. Anmutig kamen sie näher, winkten die drei Besucher zu sich, streckten die Arme nach ihnen aus. Wie herrlich es sein musste, sich vonihren kräftigen Schwingen durch die Luft tragen zu lassen. Gebannt trat Alex einen Schritt auf eines der Mädchen zu, während Nadia lächelnd die Hand nach dem unbekannten Jungen ausstreckte, aber Dil Bahadur war geistesgegenwärtig genug, seine Freunde am Arm zu packen.
    »Nicht, fasst sie nicht an, sie sind tödlich! Das ist der Garten der Lockungen.«
    Aber Nadia und Alex schienen ihn überhaupt nicht zu hören, sie wanden sich und versuchten, seinem Griff zu entkommen.
    »Sie sind nicht echt, sie sind auf die Wände gemalt, oder vielleicht sind sie auch aus Stein gehauen«, beschwor sie der Prinz. »Beachtet sie nicht!«
    »Aber sie bewegen sich doch, sie rufen uns …«, murmelte Alex völlig weggetreten.
    »Es ist ein Trick, eine optische Täuschung. Da!« Dil Bahadur zerrte die beiden herum und zwang sie, in einen anderen Winkel des Gartens zu sehen.
    Mit dem Gesicht nach unten lag dort in einem auf den Fußboden gemalten Blumenbeet ein toter Skorpionkrieger. Dil Bahadur schleifte Nadia und Alex hin. Er beugte sich über den Mann und drehte ihn um, und jetzt konnten sie ahnen, wie grauenvoll sein Tod gewesen sein musste.
    Die Skorpionkrieger waren in diesem phantastischen Garten versunken wie in einem Traum und hatten, noch benommen von dem goldenen Pulver, alles für wahr gehalten, was sie sahen. Sie waren unbehauene Kerle, an ein Leben zu Pferd gewöhnt, an das Schlafen auf felsigem Boden, an Grausamkeit, Leid und Armut. In ihrem Leben gab es nichts Schönes, Anmutiges, nie hatte jemand Musik für sie gemacht, ihnen Blumen und Schmetterlinge gezeigt. Sie lebten im Gestank, verehrten Schlangen und Skorpione und beteten zu den grausamsten Göttern des hinduistischen Götterhimmels. Sie fürchteten sich vor Dämonen und vor der Hölle, aber von einem Paradiesgarten oder von engelsgleichen Wesen, wie es sie in dieser letzten Falle des Heiligen Bezirks gab, hatten sie noch nie gehört. Die rüde Kameradschaft, die zwischen ihnen herrschte, war alles, was sie je an Nähe oder Liebe erfahren hatten. Tex Gürteltier hatte sie mit vorgehaltener Waffe zum Weitergehen zwingen müssen, aber einen hatte er doch an die Lockungen verloren.
    Der Mann war stehengeblieben und hatte die Hand nach einem der schönen, geflügelten Mädchen ausgestreckt. Marmorkalt hatte sie sich angefühlt, aber nicht so glatt, sondern rau wie Schmirgelpapier oder zerriebenes Glas. Erschrocken hatte er den Arm zurückgezogen und gesehen, dass seine Handfläche rissig wurde. Im nächsten Augenblick war die Haut gesprungen, aufgeplatzt, dann hatte das Fleisch sich aufgelöst, als würde es ihm von den Knochen geätzt. Er hatte noch schreien können, und die anderen waren zu ihm gestürzt, aber es war zu spät: Das tödliche Gift arbeitete sich wie Säure den Arm hinauf. In weniger als einer Minute war er tot.
    Jetzt standen Alex, Nadia und Dil Bahadur vor seiner Leiche, die in diesen Tagen durch das Gift wie eine Mumie vertrocknet war. Zu einem Skelett geschrumpft, klebten schwarze Haare an dem Totenschädel, und ein Waldgeruch nach Pilzen und Moos ging von ihm aus.
    »Wie gesagt, möglicherweise ist es besser, wir fassen nichts an …« Aber Nadia und Alex brauchten schon keine Warnungen mehr, denn mittlerweile waren sie wieder zu sich gekommen.
    ~
    Endlich erreichten die drei die Kammer des Goldenen Drachen. Dil Bahadur erkannte sie sofort, denn sie sah genauso aus, wie man sie ihm in den vier Klöstern, in denen er gelernt hatte, das Orakel zu verstehen, beschrieben hatte. Da waren sie, die Wände mit den Goldblechen, in die Szenen aus dem Leben von Siddharta Gautama

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