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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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eingeritzt waren, die massiven Goldkandelaber mit ihren Bienenwachskerzen, die schlanken Öllampen mit den filigranen Goldschirmen, die goldenen Duftschalen mit Myrrhe und Weihrauch. Gold, wohin man schaute. Dasselbe Gold, das in Tex Gürteltier und den Skorpionkriegern diese unwiderstehliche Habgier wachgerufen hatte und das Dil Bahadur, Alex und Nadia vollkommen kalt ließ, weil sie es im Grunde eher hässlich fanden.
    »Vielleicht wäre es nicht zu viel verlangt, dass du uns endlich verrätst, was wir hier eigentlich machen«, sagte Alex mit einem breiten Grinsen.
    »Vielleicht weiß ich das selbst nicht so genau«, antwortete der Prinz.
    »Warum hat dein Vater dich hergeschickt?«, wollte Nadia wissen.
    »Möglicherweise soll ich den Goldenen Drachen befragen.«
    »Aber der ist doch geklaut worden!« Alex zeigte auf den Sockel. »Hier hat er wahrscheinlich gestanden, auf dem schwarzen Stein mit dem kleinen Quarz vorne.«
    »Das ist der Goldene Drache.«
    »Was?«
    »Der Steinsockel. Sie haben eine hübsche Statue mitgenommen, aber das Orakel kommt eigentlich aus dem Stein. Das ist das Geheimnis der Könige, von dem noch nicht einmal die Mönche in den vier Klöstern etwas wissen. Das ist das Geheimnis, das mein Vater mir anvertraut hat und das ihr niemals preisgeben dürft.«
    »Und wie funktioniert es?«
    »Erst muss ich eine Frage in der alten Sprache der Yetis stellen, dann beginnt der Quarz zu schwingen und gibt Töne von sich, die ich deuten muss.«
    »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
    Dil Bahadur verstand nicht, was Alex meinte. Warum um alles in der Welt sollte er ihn hochheben wollen?
    »Schauen wir nach, wie das geht. Was willst du fragen?« Nadia war mehr für die praktischen Dinge.
    »Vielleicht sollte ich vor allem etwas über mein Karma erfahren, damit ich meine Aufgabe erfüllen kann, ohne mich ablenken zu lassen«, entschied Dil Bahadur.
    »Wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt, bloß damit du was über dein Karma erfährst?« Alex konnte es nicht fassen.
    »Das kann ich dir auch verraten«, sagte Nadia. »Du bist ein guter Prinz und wirst ein guter König.«
    Dil Bahadur bat sie, sich in den hinteren Teil des Raumes zu setzen und sich ruhig zu verhalten, dann trat er zu dem Sockel, auf dem zuvor die Tatzen der prächtigen Statue geruht hatten. Er entzündete den Weihrauch in den Duftschalen und die Kerzen, ließ sich danach im Lotossitz vor dem Stein nieder, und Nadia und Alex wurden langsam ungeduldig. Der Prinz gab keinen Laut von sich, meditierte, bis die Anspannung von ihm abgefallen war, sein Kopf frei war von allen Gedanken, Wünschen und Ängsten under auch keine Neugier mehr empfand. Wie eine Lotosblüte öffnete er sich für die Kraft des Universums, genau wie er es von seinem Meister gelernt hatte.
    Die ersten Töne waren kaum mehr als ein Wispern, aber schnell schwoll der Singsang des Prinzen zu einem mächtigen Gurgeln an, das aus der Erde selbst hervorzubrechen schien, kehlige Laute, wie sie Nadia und Alex noch nie gehört hatten. Es war kaum zu glauben, dass ein Mensch solche Töne von sich geben konnte, es hörte sich eher an, als würde jemand in einer weiten Felsengrotte große Bleche in Schwingung versetzen. Die Laute rollten an, stiegen, fielen ab, fanden einen Rhythmus, wurden voller und schneller, ebbten ab, um neuen Schwung zu holen, wie die Brandung des Meeres. Das Goldblech an den Wänden warf den Singsang vervielfacht zurück. Fasziniert spürten Nadia und Alex die Vibrationen im Bauch, als würden sie selbst diese Laute von sich geben. Plötzlich hörten sie, wie sich eine zweite Stimme in den Gesang des Prinzen mischte, eine ganz andere: die Antwort des kleinen gelblichen Quarzes in dem schwarzen Stein. Dil Bahadur schwieg und lauschte auf die Botschaft des Steins, die im Raum hallte wie das Echo von großen Bronzeglocken. Vollkommen versunken saß er reglos da, ordnete die Laute zu Vierergruppen und übersetzte sie in die Begriffe der untergegangenen Sprache der Yetis, die er zwölf Jahre lang gelernt hatte.
    Das Zwiegespräch dauerte über eine Stunde, aber für Nadia und Alex verging die Zeit wie im Flug. Seit eintausendachthundert Jahren hatten einzig die Könige des Verbotenen Reichs diesen Ort besucht, und nie zuvor hatte sie jemand hierher begleiten dürfen. Mit großen Augen lauschten die beiden stumm auf die an- und abschwellenden Töne des Steines, verstanden zwar nicht recht, was Dil Bahadur tat, aber dass es etwas Geheimnisvolles war, etwas von tiefer

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