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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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getrocknete Echsen, Amulette gegen den bösen Blick oder gegen Liebeskummer, Heilkräuter, Tinkturen und Salben gegen alle erdenklichen Krankheiten des Körpers und der Seele,Pülverchen für Träume, für das Vergessen, für die Wiederauferstehung, lebende Opfertiere, Halsketten zur Abwehr von Neid und Habgier, Tinte aus Blut, mit der man an die Toten schreiben konnte, und einen unermesslichen Vorrat weiterer phantastischer Dinge gegen die Angst vor dem Leben.
    Nadia hatte Voodoo-Zeremonien in Brasilien gesehen und war ungefähr darüber im Bild, was die einzelnen Symbole bedeuteten, aber Alex gingen in diesem Teil des Marktes vor Staunen die Augen über. Vor einem Stand, der ganz anders aussah als die anderen, blieben sie stehen. Von einem spitzen Strohdach hingen bodenlange Plastikvorhänge herab. Alex beugte sich vor, um zu sehen, was sich dahinter verbarg, da packten ihn zwei kräftige Hände am T-Shirt und zogen ihn hinein.
    Unter dem Dach saß eine riesige Frau auf der Erde. Sie sah aus wie ein Fleischberg mit türkisfarbenem Gipfel, einem Tuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte. Sie war in leuchtend gelbe und blaue Stoffe gehüllt, und ihre Brust bedeckten Ketten aus vielfarbigen Glasperlen. Auf dem Boden lag eine Decke mit Mustern in Schwarz und Weiß, zu beiden Seiten der Frau standen kleine Holzfiguren von Göttern oder Dämonen, einige davon nass glänzend vom frischen Blut geopferter Tiere, andere gespickt mit Nägeln, und davor sah man Schalen mit Früchten, Getreide, Blumen und Geld. Die Frau rauchte eine dicke Zigarre aus schwarzen Blättern, deren Qualm Nadia und Alex Tränen in die Augen trieb. Alex wollte sich dem Griff der Frau entwinden, aber sie ließ nicht locker, starrte ihn mit ihren hervortretenden Augen an und stieß plötzlich ein tiefes Brüllen aus. Alex fuhr zusammen: Es war die Stimme seines Totemtiers, er hatte sie schon manchmal in Trance gehört und selbst schon ausgestoßen, wenn er die Gestalt der Raubkatze annahm.
    »Der schwarze Jaguar!« Auch Nadia hatte das Brüllen wiedererkannt.
    Die Frau drückte Alex vor sich auf den Boden, zog einen speckigen Lederbeutel aus ihrem Ausschnitt und leerte seinen Inhalt auf die gemusterte Decke. Es waren weiße Muscheln, wie poliert vom vielen Gebrauch. Sie murmelte etwas Unverständliches, die Zigarre zwischen den Zähnen.
    »Anglais, English?«, sagte Alex.
    »Du kommst aus einem anderen Teil der Welt, weit weg«, sagte die Frau in einem sonderbar singenden Englisch. »Was willst du von Má Bangesé?«
    Alexander zuckte die Achseln, lächelte unsicher und schielte zu Nadia hinüber in der Hoffnung, dass die vielleicht verstand, was hier vorging. Nadia kramte ein paar Geldscheine aus der Hosentasche und legte sie in eine der Opferschalen, in der schon andere Geldgaben lagen.
    »Má Bangesé kann dein Herz lesen«, sagte die massige Frau zu Alex.
    »Was ist in meinem Herzen?«
    »Du suchst eine Medizin, die eine Frau heilt.«
    »Meine Mutter ist gesund, der Krebs ist weg …«, flüsterte Alex erschrocken. Wie um alles in der Welt konnte eine Frau auf einem Markt in Afrika etwas über seine Mutter wissen?
    »Und doch hast du Angst um sie«, sagte Má Bangesé. Sie nahm die Muscheln mit einer Hand auf, schüttelte sie in der Faust und ließ sie wie Würfel über die Decke kullern. »Du hast keine Macht über Leben oder Tod dieser Frau.«
    »Aber sie bleibt doch am Leben, oder?«
    »Kehrst du zurück, bleibt sie am Leben. Kehrst du nicht zurück, stirbt sie vor Kummer, nicht an einer Krankheit.«
    »Natürlich komme ich zurück!«
    »Das ist nicht sicher. Viele Gefahren drohen, aber du bist mutig. Gebrauche deinen Mut, sonst stirbst du, und sie stirbt mit dir.« Die Frau deutete auf Nadia.
    »Was soll das heißen?«
    »Man kann Schlechtes tun, und man kann Gutes tun. Für das Gute gibt es keinen Lohn, nur deine Seele wird zufrieden sein. Manchmal heißt es kämpfen. Du musst entscheiden.«
    »Was soll ich tun?«
    »Má Bangesé sieht nur das Herz, den Weg kann sie nicht zeigen.«
    Und damit wandte sie sich an Nadia, die sich neben Alex gesetzt hatte, und legte ihr einen Finger an die Stirn zwischen die Augen.
    »Du hast magische Kräfte und die Augen eines Vogels, du siehst von oben, aus der Entfernung. Du kannst ihm helfen.«
    Sie schloss die Augen und schwankte vor und zurück, während ihr der Schweiß über Gesicht und Hals rann. Es war unerträglich heiß. Von draußen drangen die Gerüche des Marktes: faulige Früchte, Abfall,

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