Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
den Fluss ging. Auch Borobá, der Affe, hatte etwas gegen das Baden, aber Nadia zwang ihn hin und wieder dazu, damit er seine Flöhe loswurde. Auf dem Kopf seiner Herrin sitzend, kreischte das Äffchen zum Steinerweichen, wenn es einen Spritzer abbekam. Die Expeditionsteilnehmer vergnügten sich eine Weile im Fluss, während César Santos zusammen mit Matuwe und einem Soldaten die Hirschkuh zerlegte und Feuer machte, um sie zu braten.
Alex sah seine Großmutter Hose und Hemd ausziehen, und obwohl ihre weiße Unterwäsche nach der ersten Berührung mit dem Wasser fast ganz durchsichtig war, schien ihr das kein bisschen peinlich zu sein. Er versuchte, nicht hinzuschauen, begriff aber schnell, dass für körperliche Scham hier, inmitten der Natur und weit entfernt von der Welt, die er kannte, kein Platz war. Als Kind war der Kontakt zu seiner Mutter und seinen Schwestern für ihn ganz selbstverständlich gewesen, und auch in der Schule war er ja dauernd mit Mädchen zusammen, aber in letzter Zeit fühlte er sich zu allem Weiblichen hingezogen wie zu einem unergründlichen und verbotenen Geheimnis. Er wusste, warum: SeineHormone spielten verrückt und ließen ihn keinen klaren Gedanken fassen. Er fand, die Pubertät war ein einziges Gefühlschaos und nervte kolossal. Es müsste mal jemand einen Laser-Apparat erfinden, in den man sich für ein paar Minuten reinstellte und, paff!, als Erwachsener wieder herauskam. Seine Gefühle fuhren Achterbahn mit ihm, manchmal packte ihn der Größenwahn, dann war er der Allertollste, bereit, einen Löwen zu Boden zu ringen; dann wieder war er bloß eine Kaulquappe. Dennoch, seit er zu dieser Reise aufgebrochen war, hatte er keinen Gedanken an seine Hormone verschwendet und nicht genug Zeit gehabt, sich zu fragen, ob das Weiterleben sich lohnte, ein Zweifel, der ihn früher mindestens einmal am Tag befallen hatte. Nun verglich er den Körper seiner Großmutter – spindeldürr, voller Knötchen, die Haut zerfurcht – mit den zarten goldenen Kurven von Dr. Omayra Torres, die einen züchtigen schwarzen Badeanzug trug, und mit Nadia, die noch so kindlich unbefangen wirkte. Er stellte fest, wie sich der Körper mit dem Alter verändert, und dachte, dass alle drei, jede auf ihre Weise, schön waren. Er merkte, wie er rot wurde. Bis vor zwei Wochen wäre es ihm im Traum nicht eingefallen, seine eigene Großmutter überhaupt als Frau zu sehen. Waren die Hormone dabei, sein Gehirn weich zu kochen?
Ein markerschütternder Schrei riss Alex aus seinen bedeutungsschwangeren Grübeleien. Dahinten brüllte jemand und schlug im Uferschlamm um sich, jemand mit schwarzen Haaren und einem Schnauzbart: Es musste Joel González sein, der kleine Mexikaner. Zuerst wusste keiner, was vorging, sie sahen nur die Arme des Mannes, die in der Luft ruderten, und seinen Kopf, der untertauchte und wieder an die Oberfläche kam. Alex gehörte in seiner Schule zum Schwimm-Team und brauchte nur zwei oder drei Züge, um als Erster bei ihm zu sein. Kaum hatte er ihn erreicht, da überfiel ihn kaltes Grauen, denn eine Schlange, dick wie ein aufgeblähter Feuerwehrschlauch, hatte sich um den Körper des Fotografen gewunden. Noch halb im Wasser stehend packte Alex González am Arm und versuchte, ihn an Land zu zerren, aber Mann und Schlange waren zu schwer. Er griff mit beiden Händen nach dem Tier und zog mit aller Kraft, wollte es wegbekommen, aber die Würgeschlange drückte nur noch fester zu. Er erinnerte sich andie Gänsehautbegegnung mit der Surucucú, die sich einige Nächte zuvor um sein Bein geringelt hatte. Das hier war tausendmal schlimmer. Die dicklichen Arme des Fotografen schlugen schon nicht mehr um sich, und er schrie auch nicht mehr, er hatte das Bewusstsein verloren.
»Papa, Papa! Eine Anakonda!« Jetzt war Nadia bei Alex, und beide brüllten.
Auch Kate Cold, Timothy Bruce und zwei der Soldaten hatten inzwischen das Ufer erreicht, und gemeinsam kämpften sie mit der mächtigen Schlange, um den armen González aus der Umklammerung zu befreien. Das Handgemenge wirbelte den Schlick vom Grund der Lagune auf, das Wasser wurde dunkel und dick wie Kakao. In dem Durcheinander konnte man gar nichts erkennen, jeder zerrte und brüllte Anweisungen ohne das geringste Ergebnis. Es schien schon alles verloren, da kam César Santos mit dem Messer, mit dem er das Wild zerlegt hatte. Er wagte nicht, es blind einzusetzen, denn womöglich hätte er Joel González oder einen der anderen, die mit dem Reptil rangen,
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