Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
hatte, war die harte rote Kirsche schon kleiner geworden; die heißen Wickel hatten gut geholfen. Um sich abzulenken, nahm er die Flöte und spielte das Lieblingskonzert seiner Mutter, eine sanfte Romanze von einem europäischen Komponisten, der schon seit über einem Jahrhundert tot und bestimmt nie in den Tropen gewesen war, dennoch klang es gut vor dieser Urwaldkulisse. Sein Großvater Joseph Cold hatte Recht gehabt: Musik ist eine Weltsprache. Sofort kam Borobá angeflitzt und setzte sich ihm mit der ernsten Miene eines Musikkritikers zu Füßen, und kurz darauf waren auch Nadia, die Ärztin und Kate Cold vom Fluss zurück. Nadia wartete ab, bis die anderen damit beschäftigt waren, das Lager für die Nacht herzurichten, und machte Alex dann Zeichen, damit er ihr unbemerkt folgte.
    »Sie sind wieder da, Jaguar«, flüsterte sie ihm ins Ohr, als er bei ihr war.
    »Die Indianer …?«
    »Ja, die Nebelmenschen. Ich glaube, sie mögen die Musik. Sei leise und komm mit.«
    Sie drangen einige Meter ins Dickicht vor, und wie beim ersten Mal warteten sie still ab. So viel er auch blinzelte, Alex konnte niemanden zwischen den Bäumen erkennen. Die Indianerverschwammen völlig mit dem Wald. Plötzlich spürte er Hände, die ihn fest an den Armen packten, er blickte um sich: Sie waren umzingelt. Diesmal hielten die Indianer nicht so viel Abstand; Alex drang ein fremdartiger Geruch in die Nase. Dass sie klein und hager waren, hatte er ja schon bei ihrer ersten Begegnung gesehen, aber nun bekam er zu spüren, wie stark sie waren und dass sie etwas Wildes an sich hatten. Was, wenn Leblanc mit seinen Horrorgeschichten über sie Recht hatte?
    »Aía.« Seine Stimme zitterte.
    Eine Hand hielt ihm den Mund zu, und noch ehe er überhaupt begriff, was vorging, hatten sie ihn an den Knöcheln und unter den Armen gepackt und hoben ihn hoch. Er wand sich und strampelte, aber die Hände ließen nicht los. Er spürte einen Schlag auf den Kopf, wusste nicht, ob von einer Faust oder einem Stein, aber die Warnung war unmissverständlich: Besser, er ließ sich wegtragen, sonst würden sie ihm übel mitspielen, ihn womöglich sogar umbringen. Was war mit Nadia? Schleiften sie die auch mit? Er meinte, die Stimme seiner Großmutter zu hören, die jetzt schon weit entfernt nach ihm rief, während die Indianer ihn wie Nachtgeister tiefer und tiefer in die Dunkelheit trugen.
    ~
    Alex spürte ein brennendes Stechen an seinem Knöchel, denn einer der vier Indianer, die ihn festhielten, umklammerte genau die Stelle, wo ihn die Feuerameise gebissen hatte. Seine Entführer gingen im Laufschritt, und mit jedem Trott wurde er heftig hin und her geschmissen; seine Schultern schmerzten, als wären sie ausgekugelt. Die Indianer hatten ihm sein T-Shirt ausgezogen, ihn damit geknebelt und ihm die Augen verbunden. Er bekam kaum Luft, und sein Schädel dröhnte von dem Hieb, den sie ihm verpasst hatten, aber wenigstens war er nicht bewusstlos, und das bedeutete doch, dass sie nicht fest zugeschlagen hatten und ihn nicht umbringen wollten. Zumindest noch nicht … Ihr Marsch schien kein Ende nehmen zu wollen, aber schließlich blieben sie doch stehen und ließen ihn wie einen Sack Kartoffeln auf die Erde plumpsen. Fast sofort ging es seinen geschundenen Muskeln und Gelenkenbesser, auch wenn sein Knöchel weiter höllisch brannte. Er wagte nicht, sich von dem T-Shirt vor seinem Gesicht zu befreien, womöglich würde er seine Entführer damit reizen, aber eine Zeit lang passierte gar nichts, deshalb tat er es schließlich doch. Niemand hinderte ihn daran. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das fahle Mondlicht, und er sah den Wald und das Bett aus modrigen Blättern, auf das sie ihn geworfen hatten. Die Indianer konnte er in diesem Zwielicht und ohne Brille nicht erkennen, aber er hörte sie ganz nah miteinander reden. Sein Schweizer Messer fiel ihm ein, vorsichtig tastete er an seinem Gürtel, wollte es zücken, da packte ihn jemand entschlossen am Handgelenk. Dann hörte er Nadia neben sich und spürte Borobás schmale Händchen in seinen Haaren. Er schrie auf, weil der Affe seine Finger auf die Beule legte, die ihm durch den Hieb gewachsen war.
    »Still, Jaguar. Sie tun uns nichts.«
    »Was ist passiert?«
    »Sie hatten Angst, du würdest losschreien, deshalb mussten sie dich mit Gewalt mitnehmen. Sie wollen nur, dass wir mit ihnen gehen.«
    »Wohin? Warum?«, stammelte Alex und versuchte, sich aufzusetzen. Sein Kopf dröhnte wie eine Trommel.
    Nadia half

Weitere Kostenlose Bücher