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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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Kühnen legte großen Wert darauf, daß ein GDNF-Mitglied in unserem Haus in der Weitlingstraße wohnte, um permanent die Verbindung zur GDNF zu halten, um uns auf Vordermann zu bringen und jederzeit unter Kontrolle zu haben. Gottfried Küssel zog für ständig bei uns ein. Er wollte darüber hinaus aus der Weitlingstraße 122 ein Fanal für ganz Deutschland machen. Er sollte in den kommenden Monaten sein Ziel erreichen. In dieser Zeit wurde das Haus zu einem Zentrum von Gewalt und Terror.
    Im April 1990 wurde der Bahnhof Lichtenberg nahezu täglich angegriffen. Dieser Bahnhof befindet sich genau am anderen Ende der Weitlingstraße, er war damals das vorübergehende Zuhause für viele Sinti und Roma, die dort vor allem aus Rumänien, aber auch aus anderen osteuropäischen Ländern mit dem Zug ankamen und nun nicht wußten, wie weiter. Sie waren gezwungen, mit Kind und Kegel auf dem Bahnhof zu nächtigen.
    Wir bemerkten natürlich schnell, daß die DDR-Polizisten sich vollkommen zurückhielten und die aus dem Westen noch keine Befugnisse hatten, in Ostberlin einzugreifen. Wir konnten endlich einmal zuschlagen, ohne dafür in irgendeiner Weise belangt zu werden. In diesem Jahr 1990 herrschte das totale Chaos.
    Bereits im März hatte ich einen Angriff auf ein von Autonomen besetztes Haus in der Kreuzigerstraße in Friedrichshain geleitet. In unserer Parteizentrale trafen wir alle Vorbereitungen für diesen Angriff. Dann fuhren wir mit zirka dreißig Mann in die Kreuzigerstraße. Wir stiegen alle gleichzeitig durch die Fenster ins Haus ein und schlugen jeden zusammen, der uns in den Weg kam. Es gab einige, die verletzt am Boden liegen blieben. Die meisten Hausbewohner konnten jedoch rechtzeitig nach draußen gelangen und fliehen. Nachdem wir im Haus alles kurz und klein geschlagen hatten, klauten wir noch die schwarzroten Anarchofahnen. Während wir im Haus wüteten, stand in der Nähe ein Streifenwagen der Ostberliner Polizei, In aller Ruhe konnten wir das Haus verlassen, die Polizisten rührten sich nicht von der Stelle. Diese sonderbare, uns unverständliche Haltung einer Polizei, von der wir ganz anderes gewohnt waren, motivierte uns zusätzlich.
    Jeden Tag kamen neue, orientierungslose Jugendliche zu uns, die wir entweder in die »Nationale Alternative« aufnahmen oder an andere neonazistische Parteien und Organisationen weitervermittelten. Wir wurden zur zentralen Anlaufstelle für alle Rechtsradikalen in ganz Deutschland. Im Sommer 1990 hatte die »Nationale Alternative« fast achthundert Mitglieder und war eine der größten ultrarechtsradikalen Parteien in damals noch beiden deutschen Staaten. Heute ist die »Freiheitliche Arbeiterpartei« mit zirka zweihundert Mitgliedern die größte Partei dieser Art.
    Am Morgen des 20. April 1990 kam Reinthaler ganz aufgeregt zu mir: »Hast du schon alles vorbereitet?«
    »Ne, wieso?« fragte ich etwas irritiert zurück.
    »Na, heute hat doch der Führer Adolf Hitler Geburtstag.«
    Ich gab ihm den Rat, sich einmal im Hause umzuhören, ob jemand etwas organisieren wolle.
    »Das kann doch nicht wahr sein! Wo sind wir denn hier!«
    Ich versuchte Reinthaler zu erklären, daß die meisten der Hausbewohner sich mehr auf der Linie von Gregor Strasser und SA-Stabschef Ernst Röhm befänden. Reinthaler verstand die Welt nicht mehr.
    Reinthaler paßte wegen seiner langen Haare und seines merkwürdigen Verhaltens nicht so richtig zu den Leuten in der Weitlingstraße. Viele Bewohner regten sich darüber auf, daß der Österreicher ständig nackt durch das Haus lief. Küssel sagte einmal im Streit zu ihm: »Du kannst ja nicht einmal einen anständigen deutschen Gruß.« Damit hatte er ihn völlig aus der Fassung gebracht. Reinthaler hat nämlich einen verkrüppelten Arm, der es ihm unmöglich macht, den Hitlergruß zu imitieren. Reinthaler selbst behauptet, sein rechter Arm sei durch einen Unfall entstellt worden. Diese Geschichte wollten ihm aber viele Leute in der Szene nicht glauben. Einer der Führer der »Vandalen« sagte mir einmal: »Wenn diese Sache mit seinem Arm wirklich vererbt ist, dann will ich mit dem Reinthaler nichts mehr zu tun haben.«
    Jedenfalls versuchte Reinthaler krampfhaft, im Hause eine Feierstunde zu organisieren. Schließlich trug er fünf oder sechs Leuten einige Gedichte vor. Danach sangen sie gemeinsam ein paar Lieder, während die meisten Hausbewohner schliefen oder ganz andere Musik hörten. Danach war die Sache für uns erledigt. Reinthaler hingegen rief

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