Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
noch am gleichen Tage entsetzt bei Küssel an, der gerade für ein paar Tage nach Wien gefahren war. Küssel hielt mir später einen langen Vortrag über die Bedeutung Hitlers. Ich sagte ihm, daß ich aber trotzdem mehr an Strasser orientiert sei.
Ungeachtet dessen nahmen wir den Hitlergeburtstag zum willkommenen Anlaß, am Abend in der Stadt zu randalieren. Neonazis aus beiden Teilen Berlins und Deutschlands trafen sich am Alexanderplatz, es waren ungefähr zweihundert Rechtsradikale anwesend. Wir in der Weitlingstraße 122 hatten dieses Treffen organisiert. Es ist bis heute das größte Neonazitreffen in Berlin geblieben.
Ekkehard Weil bastelt Bomben
In der Zwischenzeit war ich zum Hausführer und Haussprecher in der Weitlingstraße ernannt worden. Jetzt kamen alle möglichen Leute zu uns, und es wurde immer schwieriger, den Überblick zu behalten. Eines Tages brachte der Nazirocker Priem einen älteren Herrn mit ins Haus, der völlig unscheinbar wirkte und überhaupt nicht zu den übrigen Hausbewohnern paßte. Ich fragte Priem, den Chef von »Wotans Volk«, wer dieses Männlein sei. Priem antwortete ungewöhnlich ernst mit einer Gegenfrage: »Habe ich schon einmal jemanden mitgebracht, der nicht in Ordnung war?« Küssel sagte mir am Abend, dieser Mann sei niemand anderes als der bekannteste deutsche Rechtsterrorist Ekkehard Weil.
Der Sprengstoffexperte mit akademischer Bildung, Ekkehard Weil, hat bisher insgesamt vierzehn Jahre in deutschen und österreichischen Haftanstalten verbüßt, und er gilt inzwischen innerhalb der rechten Szene als eine Art lebende Legende.
Ich gab Weil eine Wohnung, die neben der meines Freundes Stinki gelegen war. Stinki regte sich sofort bei mir auf: »Wer weiß, was der da rumbastelt, am Ende fliegen wir alle noch in die Luft.« Weil hatte tatsächlich ein chemisches Versuchslabor in seiner Wohnung eingerichtet.
Weil wurde 1949 in Berlin geboren. Von 1966 bis 1968 leistete er den Dienst bei der Bundeswehr ab. Dort erwarb er sich fundierte Kenntnisse in der »Kunst des Sprengens«, die er anzuwenden versuchte. So hat er einen Sprengstoffanschlag auf das Haus des Nazijägers Simon Wiesenthal verübt und bei anderer Gelegenheit mit einer schweren Waffe einen sowjetischen Soldaten niedergeschossen, der am Westberliner Denkmal der Roten Armee in der Nähe des Brandenburger Tores Wache stand. Bei diesem, im Namen einer »Europäischen Befreiungsfront« geführten Anschlag wurde der Soldat lebensgefährlich verletzt. Ein britisches Militärgericht verurteilte Weil daraufhin zu sechs Jahren Haft. Es war das einzige Mal, daß ein britisches Militärgericht einen Deutschen in Deutschland verurteilt hat. Weil bezeichnete das Attentat vor Gericht als »Vergeltungsschlag gegen die Sowjets«. Er habe mit mehreren EBF-Mitgliedern diesen Anschlag vorbereitet, sagte er unter Eid aus. Eine Provokation gegen die Staatsgrenze der DDR habe sich wegen der Sicherheitsmaßnahmen der DDR-Organe als undurchführbar erwiesen. Weil verbüßte seine Haft in der Justizvollzugsanstalt Tegel unter strengsten Sicherheitsbestimmungen. Aus Protest dagegen gelang es ihm eines Tages, die Feuerlöschanlage einzuschalten und die Hauptzentrale der Haftanstalt zu überfluten. Nach diesem Vorfall wurden die Haftbedingungen für ihn gelockert.
Im November 1972 gelang ihm ein weiterer, sensationeller Coup. Als der Wärter eines Morgens seine Zelle öffnete, war sie leer. Die Zeitungen überschlugen sich: »Wer organisierte die Flucht von Weil?« Nach zwei Tagen kam der Rechtsterrorist aus dem Lüftungsschacht gekrochen: »Das war nur ein Scherz.«
Im September 1975 wurde er nach fünfjähriger Haftzeit vorzeitig entlassen. Er schloß sich sofort wieder einer ultrarechtsradikalen Gruppe an. 1978 kam er erneut vor Gericht. Diesmal wurde ihm zur Last gelegt, nach einem von ihm verursachten Unfall die Absicht gehabt zu haben, einen der Verletzten noch überfahren zu wollen.
Außerdem mußte er sich wegen eines Brandanschlags auf das Parteibüro der »Sozialistischen Einheitspartei Westberlins« verantworten. In der Verhandlung kam es zu schweren Tumulten. Im Gerichtssaal Anwesende wurden von Rechtsradikalen angepöbelt: »Hängt die roten Schweine auf!« Weil zertrümmerte einem Journalisten das Nasenbein. Drei Jahre waren das Ergebnis. 1979, nur ein Jahr später, zog er es vor, aus einem Hafturlaub nicht ins Gefängnis zurückzukehren. Nach einer Fahndung durch Interpol wurde er 1980 in Brüssel gefaßt und an die
Weitere Kostenlose Bücher