Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
ungefähr fünfzig Metern. Am Bahndamm lag eine Riesenmenge Schottersteine. Alle fingen an, die Polizisten mit einem Steinhagel zu bombardieren. Jetzt begannen die Polizisten, scharf zu schießen. Die Kugeln pfiffen um unsere Ohren. Ein vielleicht Siebzehnjähriger fiel getroffen zu Boden. Ich stand ungefähr zehn Meter von ihm entfernt. Ein anderer, den ich selbst gut kannte, nahm ihn in den Arm. Aber der Junge war tot. Er hatte einen glatten Herzschuß. Die Straßenschlacht eskalierte, und es gab Schwerverletzte auf beiden Seiten. Viele der Hools konnten ausweichen und kamen so aus dem Schußfeld heraus. Eine vorbeifahrende Straßenbahn wurde angehalten und gestürmt. Alle Insassen und auch der Fahrer flogen auf die Straße. Dann fuhr einer von uns die Bahn in Richtung Zentrum, ohne sie an einer Haltestelle zu stoppen.
Vor einer Bude in der fast leeren Innenstadt hielt die Bahn. Hundert Hooligans stürmten aus der Straßenbahn, auf die Bude zu. Der Verkäufer fuchtelte aufgeregt mit seiner CS-Gas-Flasche herum. Im letzten Moment ergriff er in panischer Angst die Flucht. Es wurde alles zerschlagen und die Bude umgeworfen. Dann rannten die Hools in eine der Einkaufsstraßen hinein.
Ich begegnete einem alten Freund aus der Weitlingstraße, der mit einer anderen Gruppe hierhergekommen sein mußte. Er hatte drei Fotoapparate um den Hals hängen und sah wie ein professioneller Reporter aus. Freudestrahlend hielt er mir eine Kamera unter die Nase: »Die ist für dich, na, komm schon, heute ist Weihnachten, Hasselbach!«
Ich grinste ihn an: »Ne, laß mal, das Fotografieren ist nicht so meine Sache.«
»Selber schuld, wenn du an so einem Tag nicht zugreifst.«
Wir zogen zusammen ein paar Straßen weiter. Einer von den Hools feuerte einen großen Stein in eines der Schaufenster. Es gab einen ungeheuren Knall, und die Glasscherben spritzten wie Eis in alle Richtungen. Der Steinewerfer betrachtete genießerisch die vor ihm liegenden Lebensrnittel. Er nahm sich nichts als einen kleinen Schokoriegel, dann ging er langsam weiter.
Jemand klopfte mir von hinten auf die Schulter: »Na, Hasselbach, alter Nazi, wie geht’s?« Simon war einer der bestangezogenen Hooligans von Berlin. Er trug stets teure Pullover, es war das Markenzeichen seiner Gruppe von Hooligans, nur erlesene Kleidung zu tragen. Hier war Simon in seinem Element: »Weißt du, Hasselbach, Politik ist nicht so meine Welt. Plündern, das ist es!« Er hatte mehrere Videokameras um seinen Hals hängen. Überall sah man Hools mit geklauten Videokameras und CD-Playern herumrennen. Einige hatten sogar Staubsauger dabei.
Für die Heimfahrt benutzten wir kleinere Straßen, die über die Dörfer führten. In einer Kleinstadt mußten wir an einer Ampel anhalten. Im Wiederanfahren riß einer der Hooligans einer ahnungslosen Fußgängerin die Tasche von der Hand.
Ein paar Kilometer weiter blockierte ein Gefangenenbus der Polizei die Straße. Ungefähr zwanzig Polizisten hielten ihre Waffe auf uns gerichtet. Wir mußten alle raus und in den Gefangenenbus einsteigen. Die Polizei brachte uns in die nächstgelegene Stadt auf ihr Revier, wo wir alle einzeln verhört wurden. Zuerst einmal wollte man wissen, woher denn die vielen CD-Player, Kühlschränke, Videokameras, stangenweise Zigaretten und Kästen voller Schnapsflaschen stammten. Alle sagten übereinstimmend, diese Sachen seien persönliches Eigentum. Dann wurde der Busfahrer hereingeholt und gefragt, woher denn nun all die schönen neuen Sachen wären.
»Ich mußte mich die ganze Zeit auf mein Fahrzeug und die Straße konzentrieren. Sie wissen ja, wie das ist, wenn man mit solch einer Reisegruppe unterwegs ist, da hat eben jeder eine Menge privater Dinge dabei.«
Am Ende des Verhörs wurde nicht ein einziges Protokoll unterschrieben, und die Polizei war gezwungen, uns wieder zu unserem Bus zu bringen. Die geklauten Gegenstände blieben im Besitz der Hooligans.
»Heldengedenktag« in Halbe
Der sogenannte Heldengedenktag im November ist neben dem Todestag von Rudolf Heß das wichtigste Datum für die deutsche Naziszene. Im November 1990 trafen sich in Halbe bei Berlin über zweitausend Nazis aus den verschiedensten Gruppierungen. Frau Dr. Ursula Schaffer von der »Deutschen Kulturgemeinschaft« in Westberlin und die »Wikingjugend« organisierten diese Veranstaltungen zum erstenmal auf dem Boden der jetzt nicht mehr existierenden DDR. Zahlreiche ehemalige SS-Angehörige waren zur Feier angereist. Das Ganze war
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