Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Gegenteil die Täter, die ich für dumm, feige und hinterhältig hielt, als Märtyrer. Ich stand ziemlich allein da und begann mich zurückzuziehen.
Dann war die Sendung von Winfried Bonengels Film »Wir sind wieder da« im Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg. Die Reaktionen, die ich darauf verspürte, waren verheerend für mich. Meine Mutter kam noch am gleichen Abend zu mir. So hatte ich sie noch niemals gesehen. Sie war einfach fertig. Ich hatte in ihrer Gegenwart die Sache mit den Neonazis immer zu verharmlosen versucht. Nun war sie außer sich über meine Äußerungen in der Öffentlichkeit. Ich hatte im Film unter anderem gesagt, ich sei bereit, Rechtsterrorist zu werden. Auf einem der Bilder war ich zusammen mit Michael Kühnen zu sehen, den jetzt jeder kannte. Es tat mir sehr weh, meine Mutter so leiden zu sehen. Sicher, ich hätte früher an sie denken sollen, aber ich hatte mich bisher immer auf sie verlassen können. Nach diesem Film begreife sie erst, was für ein gefährlicher Neonazi ich sei. Dieser Film hatte sie tiefer getroffen als meine diversen Verurteilungen zu DDR-Zeiten. Ich bemerkte, wie in Lichtenberg Leute auf der Straße mit dem Finger auf mich zeigten, in einigen Kneipen wurde ich nicht mehr bedient.
Ich mußte auch damit rechnen, daß die militante Antifa etwas gegen mich unternimmt. Und tatsächlich machten sich einige Tage später ein paar Linksradikale an der Hauptgasleitung des Hauses, in dem ich wohnte, zu schaffen. Es hätte nicht viel gefehlt, und das ganze Mietshaus wäre in die Luft geflogen. Andere Hausbewohner hatten die Autonomen jedoch rechtzeitig bemerkt und verjagt.
Ein anderes Mal patrouillierte stundenlang ein Auto der Autonomen vor meinem Haus. Immer hatte ich eine Waffe zur Selbstverteidigung bei mir.
Meine Freundin hatte mich verlassen. Natürlich hätte ich zu meinen alten Kumpels gehen können, aber dazu fehlte mir die Lust, Winfried konnte ich nicht erreichen, er hat in Deutschland keinen festen Wohnsitz. Ich fühlte mich vollkommen allein gelassen, sah keine Perspektive mehr für mich und war am Tiefpunkt angelangt.
Ich bin draußen
Kurz vor Weihnachten tauchte Winfried plötzlich von sich aus bei mir auf und bot mir an, über die Feiertage mit zu ihm nach Paris zu kommen. Ich sagte sofort zu. In Paris machte er mich mit seinen Freunden bekannt. Die Gespräche mit ihnen lenkten mich ab und gaben mir wieder Mut. Ich war dort nicht nur der Neonazi, und langsam stieg die Hoffnung, vielleicht doch noch etwas Vernünftiges zustande zu bringen. Ich konnte wieder einen klaren Gedanken fassen, ohne ständig auf der Hut vor irgendwelchen linksradikalen Angriffen zu sein. Diese Pariser Tage mit Winfried und seinen Freunden waren für meinen späteren Ausstieg von entscheidender Bedeutung.
Aber noch hatte ich im Januar 1993 eine letzte Gerichtsverhandlung wegen Körperverletzung vor mir. Ich sagte mir: »Wirst du freigesprochen, ist das die entscheidende Chance zum Ausstieg, wirst du verurteilt, gehst du in den Untergrund. Gefängnis scheidet aus.«
Ich wurde freigesprochen. Nun mußte ich mich an meine mit mir selbst getroffene Absprache halten. Versuche, schon früher auszusteigen, scheiterten immer wieder daran, außerhalb der Szene niemanden zu kennen, an den ich mich halten konnte und der zu mir stand. Auch diesmal hatte ich panische Angst, in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen. Es war mir klar, daß ich meine alten Kumpels nie mehr sehen, daß sich mein Leben von Grund auf ändern würde.
Mit Schweigert hatte ich gesprochen, nun besuchte ich in diesen Tagen noch einmal jeden meiner alten Freunde. Ich wußte, ich sah sie zum letztenmal. Aber es war für mich ein beruhigendes Gefühl, mich endlich aus diesem alten Leben zu verabschieden. Unter den alten Freunden gab es kaum einen, der in der Lage war, Freundschaft höher zu bewerten als ideologische Verbundenheit. Das weiß ich erst jetzt genau, nachdem ich endgültig draußen bin.
Mach’s gut, Tommi
Ich will noch von Tommi erzählen, er ist eine von den wenigen Ausnahmen. Schon immer hat ihm persönliche Freundschaft mehr bedeutet als Parteienzugehörigkeit, Er ist vollkommen normal geblieben, obwohl gerade ihm besonders übel mitgespielt wurde. Anfang der achtziger Jahre war er mit Hippies rumgezogen, dann hatte er sich den Punks angeschlossen, genau wie ich. Tommi ging niemals zur Arbeit, er wollte sich zu keiner Zeit dem DDR-Alltag anpassen. Seine erste Gefängnisstrafe erhielt er dann auch wegen
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