Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
ansonsten blieb er aber ziemlich unbeachtet.
Einen Tag vor der Sendung bat ich Michael Heinisch, mir kurzfristig eine Bleibe zu besorgen. Aber er schien überhaupt nicht zu begreifen, daß ich wirklich Ernst machte und daß das alles auch nicht ganz ungefährlich für mich sei. Ich merkte schnell, daß Heinisch nicht bereit war, einen Finger für mich zu rühren. Jetzt bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun.
Wieder schaltete sich Winfried ein. Abgesehen von meiner Familie war Winfried wirklich der einzige, der in dieser schweren Zeit zu mir hielt und sich, immer wenn es darauf ankam, um mich kümmerte.
Ich habe damals viele Journalisten kennengelernt, die mir zwar Freundschaft und Hilfe anboten, in Wirklichkeit aber nur ihre eigenen, materiell bestimmten Interessen verfolgten. Als es zum Beispiel um den günstigsten Zeitpunkt für eine große Reportage über mich in einer sehr großen Zeitschrift ging, mußte auch mein Problem zur Kenntnis genommen werden. Da war die Scheinfreundschaft zwischen dem Journalisten und mir schnell wieder zerbrochen. Solche Leute gefallen mir nicht, wenngleich ich ihre Motive begreife.
Jetzt, wo ich wirklich draußen bin, macht mancher seinen Anteil an diesem Schritt geltend. Das stimmt alles nicht.
Winfried behauptete nie, mich aus der Szene geholt zu haben. Das ging so auch gar nicht. Der Ausstieg war ein langer, für mich schmerzlicher Prozeß mit vielem Hin und Her. Letztlich habe ich allein geschafft, was mir allerdings ohne Winfrieds Anstöße, ohne seine Hilfe und ohne seine Freundschaft kaum gelungen wäre. Sein Film »Wir sind wieder da«, unzählige Gespräche, neue Bekanntschaften, die ich durch ihn machte, aber vor allem sein Vertrauen gaben mir die Möglichkeit, mich endlich frei zu machen von meiner Vergangenheit.
Nachdem ich meinen Ausstieg öffentlich bekanntgegeben hatte, lud mich Winfried erst einmal zu sich nach Paris ein. Es war ein eigenartiges Gefühl, in einem Stadtviertel zu wohnen, in dem es fast nur Schwarze gab. Winfried wohnt als einziger Europäer in einem sechsstöckigen Altbau. Ich fühlte mich so, als ob eine schwere Last von mir gefallen wäre. Zum erstenmal hatte ich das Gefühl, eine Zukunft zu haben.
Zwar beschmieren meine alten »Kameraden« die Häuserwände meiner Wohnung in der Wotanstraße, die ich nicht mehr benutzen kann, ein »Kommando Horst Wessel« will mir ans Leben, aber ich habe keine Angst. Ich bin nur ein wenig traurig darüber, daß der ehemalige Vorsitzende der »Nationalen Alternative«, Frank Lutz, den ich nun über zwanzig Jahre kenne, auf Rache sinnt. Im Grunde bestärkt mich das nur um so mehr darin, das Richtige getan zu haben. Ein anderer der »alten Kameraden«, der immer darauf geachtet hat, in der Öffentlichkeit nicht erkannt zu werden, klebt sogar Steckbriefe von mir an Häuserwände. Noch nie ist ein Bild von ihm in der Zeitung oder im Fernsehen gewesen. In meiner ehemaligen »Kameradschaft« war dieser erst Neunzehnjährige der kälteste und brutalste Typ. Ich sah oft mit an, wie er bei Straßenschlachten mit den »Gegnern« kein Erbarmen zeigte und sogar von den eigenen Leuten gebremst werden mußte. Diese Typen versuchen auf die niederträchtigste Weise an mich heranzukommen und Rache zu üben. Selbst meine achtzehnjährige Schwester wurde bedroht und geschlagen.
Als ich davon hörte, stieg in mir der alte Haß hoch, und ich wollte los und zurückschlagen. Aber Unschuldige können auf andere Weise geschützt werden, und das geschieht auch. Ich bin zu einem Gegner von Gewalt und Gegengewalt geworden. Seit meinem Ausstieg wurde ich mehrmals sehr heftig provoziert, und ich war nahe dran, zuzuschlagen. Es gelang mir jedesmal, mich zu beherrschen und zu kontrollieren.
In der ersten Zeit nach meinem Ausstieg wurde ich ständig im Privatleben und in der Öffentlichkeit mit meiner Nazivergangenheit konfrontiert. Es ist mir heute unangenehm, allein deshalb interessant für die Leute zu sein, weil ich eine von Haß durchtränkte, menschenverachtende Ideologie vertreten habe. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, Schurken anziehender zu finden als freundliche Leute, die ein normales Leben führen. Ich hoffe, eines Tages ein harmonisches Leben führen zu können, in dem es mir gelingt, mein persönliches Wertesystem zu verwirklichen.
Heute kann ich kaum noch nachvollziehen, daß ich in aller Öffentlichkeit Naziparolen verkündet und Jugendliche dazu animiert habe, neonazistischen Gruppierungen beizutreten.
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