Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Arbeitsbummelei. Er verschwieg auch gegenüber niemandem, daß er die DDR lieber heute als morgen verlassen wollte. Nach vier Jahren Haft erhielt Tommi 1987 ein dreijähriges Berlin-Verbot. Er mußte irgendwo in Mecklenburg aufs Dorf und dort in der Landwirtschaft arbeiten. Seine Aufgabe in der Genossenschaft bestand darin, die Pferde zu pflegen und Gespanndienste zu leisten. Er liebte den Umgang mit Pferden und hatte Spaß an dieser Arbeit.
Eines Tages besuchten Frank Lutz und ich ihn in seinem Dorf. Abends lud er uns in die Kneipe ein. Die Einheimischen warfen mißtrauische Blicke auf uns. Berliner waren überall nicht gerade beliebt, unsere starken Tätowierungen verstärkten die Skepsis der Bauern. Wir gingen an die Theke und tranken in Ruhe unser Bier. Viele der Gäste, die Kneipe hatte sich inzwischen gefüllt, tanzten zur Diskomusik. Plötzlich bat Tommi um Ruhe. Die Musik hörte sofort auf zu spielen, und die Gäste blickten uns erwartungsvoll an. Tommi räusperte sich und sagte: »Ich möchte nur bekanntmachen, daß ich ab heute der Chef in diesem Dorf bin. So, und nun weitermachen.« Tommi drehte sich um und grinste mich an.
Nach diesem Auftritt war Tommi plötzlich sehr beliebt im Ort. Viele, vor allem junge Leute, luden ihn auf ein Bier ein, und es ging ihm gut. Ein Verantwortlicher in der LPG bemerkte das und nahm ihm die Pferde wieder weg. Da hatte Tommi keine Lust mehr zu bleiben und ging ohne Erlaubnis nach Berlin zurück. Kurze Zeit später wurde er wegen Körperverletzung und Verstoßes gegen das Berlin-Verbot zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Doch diesmal kam er nicht in seinen Stammknast »Schwarze Pumpe«, sondern in die Festung Waldheim. Hier waren im Dritten Reich politische Gefangene zu Tode gefoltert worden.
Waldheim war neben Brandenburg der berüchtigtste Knast der DDR, und so wurde Tommi mit den Worten begrüßt: »Hier ist Endstation, weiter geht es nicht. Von hier führt der Weg entweder direkt ins Irrenhaus oder in den Westen.« Waldheim-Gefangene wurden sehr oft freigekauft. Aber dem Gefängnis gegenüber befand sich auch eine Nervenheilanstalt, die dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt war. Dort wurden politische Gegner und Oppositionelle willenlos gemacht, die dann völlig gebrochen von der »Behandlung« zurückkamen.
Am Tage seiner Ankunft wurde Tommi in eine Zelle mit vierzig Gefangenen gesteckt. Die meisten dieser Strafgefangenen waren homosexuell. Zwei der Häftlinge versuchten sofort, allerdings erfolglos, Tommi zu vergewaltigen. Noch am gleichen Tag wurde Tommi in Einzelhaft verlegt. Ich hatte zu dieser Zeit eine Freundin, die Tommi gut kannte und ihn öfter besuchte. Sie erzählte mir, Tommi sei vollkommen allein, nicht mal seine Eltern kämen zu Besuch. Von da an schickte ich ihm regelmäßig Zigaretten und andere Dinge, die meine Freundin einpackte. Im November 1989 wurde Tommi entlassen. Danach lernte ich ihn erst richtig kennen, und es verband uns seit dieser Zeit eine enge Freundschaft, in der Politik keine Rolle spielte. Tommi gehört zu den wenigen, bei denen ich es bedauere, sie jetzt nicht mehr sehen zu können.
Jetzt wissen sie’s - Rückkehr unmöglich
Ich bat Winfried Bonengel, mir die Möglichkeit zu verschaffen, meinen Ausstieg auch öffentlich und so deutlich machen zu können, daß es in der rechten Szene bekannt würde und unmißverständlich klar sei. Er traf eine Absprache mit den Verantwortlichen, die für »SAT l« ein Politmagazin »Akut« produzierten. Sie schickten einen von diesen strebsamen Journalisten nach Berlin, der mit übertriebener Freundlichkeit irgendwelche bisher unbekannten Geheimnisse aus der rechten Szene erfahren wollte. Aber das war ja auch sein Job. Der Journalist war vollkommen fasziniert von dem, was ich ihm über die »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« erzählte. Sein Eifer amüsierte uns ein wenig, kam es mir doch nur darauf an, meinen Ausstieg zu dokumentieren. Der Journalist hingegen war, wie viele vor ihm, in erster Linie an einem sensationellen Insiderbericht mit möglichst vielen bisher unbekannten Informationen interessiert. Er ließ in seinem Eifer nicht nach. Winfried ermahnte mich, mit meinen Äußerungen vorsichtig zu sein, um mich nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Ich versetzte den Journalisten immer wieder, aber er rief dauernd auch bei meiner Familie an. Endlich, am 15. März 1993, wurde der kurze Bericht auf SAT l ausgestrahlt. Die Neonazis haben den Film natürlich alle gesehen,
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