Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
sie eigentlich für Bonny auf, aber sie sind noch vollkommen in Ordnung – besonders, wenn man noch nicht viel zum Frühstück gehabt hat.«
Ich biss in einen der gelben Äpfel. Er schmeckte süß und gut. So, wie auch Sarah war, dachte ich, mit ihren prächtigen braunen Haaren und der sommersprossigen Haut. Man sah ihr an, dass sie eigentlich nach draußen gehörte, auf die Felder und in den Wald. Während ich an meinem Apfel aß, versuchte Bonny, ihr stämmiges, kleines Pony, ihn mir mit zurückgezogenen Lippen zu stehlen. Sarah lachte, dann sah sie mich neugierig an. »Also, was war das eben im Klassenzimmer?«
Ich wich ihrem Blick aus. Es war mir ja selbst nicht ganz klar. Ich wusste nur, dass es nicht das erste seltsame Erlebnis war, das ich seit meiner Ankunft in Wyldcliffe gehabt hatte. Aber wie konnte ich Sarah all diesen Unsinn über einen hübschen Jungen auf einem Pferderücken oder einen zerbrochenen Bilderrahmen, der gar nicht zerbrochen war, erzählen? Oder dass mir ein rothaariges Mädchen erschienen war, das es unmöglich hatte geben können? Ich hatte das Gefühl, als wäre Sarah der erste normale Mensch, dem ich bisher in Wyldcliffe begegnet war, und ich wollte nicht, dass sie mich f?r verr?ckt hielt. Ich kam zu dem Schluss, dass ich einfach nur mitgenommen war. Nichts dergleichen w?rde mir noch einmal passieren.
»Nur ein kleiner Schwächeanfall.« Ich zuckte mit den Schultern und sprang auf; ich wollte das Thema wechseln. »Was hältst du davon, wenn du mich ein bisschen herumführst, wie Miss Scratton vorgeschlagen hat? Ich habe noch nichts gesehen.«
»Gern.« Sie lächelte. »Auf Wiedersehen, Bonny, mein Liebling. Bis später. Man sollte nicht glauben, dass sie noch vor ein paar Monaten das reinste Wrack war, oder? Meine Eltern haben mir dabei geholfen, sie von irgendwelchen Leuten wegzuholen, die von Pferden keine Ahnung hatten und sie schlecht behandelt haben. Jetzt ist sie so fett wie Butter. Mein anderes Pferd heißt Starlight. Komm und sieh ihn dir an, bevor ich dich herumführe.« Ich folgte Sarah in eine andere Box, in der ein hübsches graues Pony stand und sein Maul an ihrer Hand rieb. Dann schnappte es sich dankbar einen Apfel. »Glücklicherweise darf man Pferde hierher mitbringen. Ich verbringe jede freie Minute mit ihnen. Ohne meine Tiere wäre ich verloren. Zu Hause habe ich drei Hunde, zwei Katzen und einen Esel, und ich habe sie alle irgendwann einmal vor irgendwas gerettet …«
Sie plauderte weiter, und ich erinnerte mich daran, dass Celeste ihre Sammlung ›heimatloser Kinder‹ angesprochen hatte. Nun, jetzt gehörte ich tatsächlich auch dazu.
Wir gingen über den Hof der Stallungen, der an das Hauptgebäude grenzte. Mir fiel eine Tür auf, deren grüne Farbe ziemlich verblasst war; sie sah aus, als w?rde sie kaum benutzt werden. Ich vermutete, dass sie zu den alten Unterk?nften der Bediensteten f?hrte, in denen Helen und ich am Morgen gewesen waren. Eine schwarze Katze lief ?ber den Hof. Wir folgten ihr und gelangten zu einem ummauerten Gem?segarten, in dem sich Reihen von Bohnen und schwarzen Johannisbeeren befanden.
»Wir können hier eigene Parzellen haben, die wir selbst bepflanzen«, sagte Sarah. »Es gefällt mir, etwas zu säen und zuzusehen, wie neues Leben sprießt. Und ich liebe auch die Ställe. Die herrschaftlichen Teile dieses ehemaligen Klosters können schon ziemlich kalt und düster wirken, aber hier draußen kann ich sehen, wie es gewesen sein muss, als diese Anlage einer richtigen Familie gehört und es hier Gärtner und Wagen und Pferde und Hunde gegeben hat. Damals, als Lady Agnes noch gelebt hat … Das ist allerdings mehr als hundert Jahre her.« Sie sah mich an und runzelte die Stirn, als würde sie versuchen, sich an etwas zu erinnern.
»Wer war Lady Agnes?«, fragte ich und bemühte mich, interessiert zu klingen.
»Die Tochter von Lord Charles Templeton, der Wyldcliffe etwa Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wiederaufgebaut hat. Das ursprüngliche Kloster, in dem die Nonnen gelebt haben, stammt aus dem Mittelalter und ist schon vor langer Zeit zum größten Teil zerstört worden. Lord Charles empfand die Ruinen als romantisch und hat daher keinen einzigen Stein verändert, als er hier sein neues Haus für seine Frau und seine Tochter errichtet hat.«
Wir verließen den Gemüsegarten und traten auf eine kiesbedeckte Terrasse, die sich hinter dem Hauptgebäude erstreckte. Von der Terrasse aus f?hrten gro?e
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