Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
Klosterruine.«
Wir ritten weiter durch die Dunkelheit und kamen an zwei einsamen Bauernhöfen vorbei. Überall um uns herum war es vollkommen still und leer. Es war, als wären wir die beiden einzigen Menschen auf der Welt, unsterbliche Wanderer in einem stummen Land. Schließlich zügelte Sebastian das Pferd auf einem unebenen Hügel, der von Steinen umgeben war.
»Da sind wir.«
Ich war enttäuscht. Ich hatte einen hohen Turm mit Mauern und Schießscharten erwartet, wie bei einer Burg aus einem Märchen, und nicht einfach nur einen nackten Hügel und ein paar umgefallene Steine.
»Aber hier ist doch gar nichts«, sagte ich, während Sebastian mir beim Absitzen half.
»Die Festung war vermutlich aus Holz und ist daher schon seit langem verschwunden. Aber noch davor war das hier wahrscheinlich ein Tempel oder eine heilige Stätte. « Er setzte sich auf den Heideboden und ließ seinen Blick über das schlafende Tal schweifen. »In uralten Zeiten haben die Menschen der Sonne und dem Mond und den Elementen gehuldigt. Ein Hügel wie dieser muss ihnen die Möglichkeit gegeben haben, ihren Göttern näher zu kommen. Er war ein Ort der Macht.«
»Über solche Dinge habe ich bisher noch nie nachgedacht«, sagte ich. »Es kommt mir so vor, als könnte man in Wyldcliffe der Vergangenheit einfach nicht entfliehen.«
»Man kann der Vergangenheit nirgendwo entfliehen, egal, wohin man geht«, sagte er, und es klang verbittert.
»Was ist los, Sebastian?«
»Nichts.« Er lächelte zu mir hoch; seine Augen waren wieder klar und strahlten. »Gar nichts, wenn du bei mir bist.« Er klopfte leicht auf den Boden. »Komm her.«
Ich setzte mich zu ihm. Langsam und fragend legte er einen Arm um mich und zog mich zu sich heran. Ein wundervolles Gefühl von Wärme und Frieden erfüllte mich. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, und mein Herz hüpfte vor Freude auf und ab wie ein Neugeborenes.
»Evie«, hauchte er. »Meine Lady Eve. Jetzt, in diesem Moment, bin ich glücklich.«
»Ich auch«, flüsterte ich.
Er hielt mich fester und murmelte: »Ich möchte, dass du es so in Erinnerung behältst: dich und mich, weit weg von der Abtei und ihrer Vergangenheit. Nur einen Moment als Erinnerung … was immer auch passiert.«
Ich weiß nicht, wie lange wir da schweigend saßen. Worte waren überflüssig. Ich war bei Sebastian, und es genügte, einfach mit ihm zusammen zu sein, die Sterne anzusehen, wie andere Menschen vor Tausenden von Jahren auch. Während wir dasaßen, kam Wind auf, die Wolken wurden dichter, und schließlich begann es zu regnen.
»Ich hätte für immer so sitzen bleiben können«, sagte ich seufzend.
Zu meiner Überraschung verdüsterte sich Sebastians Gesicht. »Hast du einmal darüber nachgedacht, wie das wirklich ist, immer an einem Ort zu sein? Es w?re wie ein Gef?ngnis.? Er stand auf und ging ein St?ck weg. Dann begann er mit leiser Stimme zu reden, gestelzt und unnat?rlich, als h?tte er das, was er zu sagen hatte, einstudiert. ?Ich hatte gesagt, dass ich mit dir reden muss, Evie. Du bist eine so gute Freundin. Ich werde das nie vergessen. Aber von heute Nacht an ? von heute Nacht an sollten wir uns, glaube ich, nicht mehr sehen. Das Risiko ist einfach zu gro? f?r dich.?
Ich hatte das Gefühl, als würde der Boden unter mir wegrutschen.
»Aber niemand in der Schule wird es rauskriegen, wenn ich vorsichtig bin …«
»Es geht nicht nur um die Schule. Diese ganze Sache hier könnte gefährlich für dich werden.«
»Du meinst, du hattest deinen Spaß, und jetzt kann ich in mein eintöniges kleines Leben zurückkehren, ja?« Ich explodierte. »Ist es das?«
»Nein! Ich versuche herauszufinden, was das Beste für dich ist. Bitte glaube mir das. Aber es gibt da etwas in der Vergangenheit … etwas, das ich getan habe und bereue.«
»Das macht mir nichts aus!«
»Aber mir.« Er stöhnte. »Und dir würde es auch etwas ausmachen, wenn du Bescheid wüsstest.«
»Dann sag es mir«, bat ich. »Sag mir zumindest die Wahrheit.«
Sebastians Gesicht sah im Sternenlicht krankhaft weiß aus. »Das kann ich nicht.«
Noch ein paar Minuten zuvor war ich so glücklich gewesen. Jetzt fühlte ich mich wie eine Ausgestoßene. Sebastian hatte mich ausgestoßen, und der Schmerz war beinahe k?rperlich sp?rbar. Der Regen prasselte auf uns herab. Ich begann, ?ber den Heideboden zu laufen.
»Wohin gehst du?«, rief Sebastian mir nach. »Du
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