Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
verschiedener Vettern und entfernter Verwandter, bis sich im Zweiten Weltkrieg derart große Häuser als unpraktisch erwiesen. Seit dem Tod des letzten Besitzers stand das Haus leer. Es ist erst vor kurzem als Museum wiedereröffnet worden, dank der außergewöhnlichen Bemühungen des örtlichen Geschichtsvereins.«
»Und wie kommen wir da hin?«, fragte ein Mädchen namens Katherine Thomas.
»Die Hall liegt nur zwei Meilen östlich von Wyldcliffe in den Moors. Ich habe veranlasst, dass wir dort ein Mittagessen erhalten und von einem privaten Bus wieder zur Schule zurückgebracht werden. Ich schlage vor, dass wir, wenn das Wetter gut ist, gleich früh am Morgen zu Fuß zur Hall gehen.«
Aufgeregtes Stimmengewirr breitete sich im Klassenzimmer aus. Ich vermutete, dass die meisten Mädchen mehr von der Idee begeistert waren, einmal aus der Schule herauszukommen und durch die Moors zu streifen, als sich das Museum anzusehen.
»Das genügt, Mädchen; Ruhe jetzt«, sagte Miss Scratton. Ausnahmsweise l?chelte sie. ?Ihr werdet Schulhefte und Zeichenbl?cke mitnehmen m?ssen. Wir treffen uns am vereinbarten Tag gleich nach dem Fr?hst?ck beim Eingang.?
Es läutete zum Essen, und die Klasse stürmte aufgeregt plappernd in den Korridor. Plötzlich war Sarah neben mir; sie wirkte verlegen, aber auch entschieden.
»Du kannst im Bus neben mir sitzen, wenn du willst«, sagte sie ruhig.
Ich sah in ihr sommersprossiges Gesicht und fragte mich, wie ich jemals auf sie hatte wütend sein können.
»Das würde mir sehr gefallen. Danke. Und es tut mir leid, Sarah. Ich wollte nicht – «
»Es ist nicht wichtig.«
Sie lächelte, und ich wusste, dass wir wieder Freundinnen waren.
»Warst du schon mal in diesem Museum?«, fragte ich sie.
»Ich bin mit Starlight dran vorbeigeritten«, sagte Sarah. »Man sieht aber nicht viel, da es von riesigen Bäumen umgeben ist. Um ganz ehrlich zu sein, kam es mir wie ein stinknormales altes Haus vor. Aber wenn es Miss Scratton dazu gebracht hat, mit uns dorthin zu gehen, kann es so schlecht nicht sein.«
Die Aussicht darauf, mit Sarah einen Tag außerhalb der Schule zu verbringen, war so ähnlich, als würde ein frischer Wind durch die Korridore von Wyldcliffe streichen. Als ich an diesem Abend zusammen mit Helen im Musikraum aufräumte, fragte ich sie fröhlich, ob sie sich auf unseren Besuch in der Hall freute.
»Ich würde da nicht hingehen, auch wenn man mich daf?r bezahlen w?rde?, sagte sie und wirkte noch unbeholfener als sonst.
»Sei nicht dumm.« Ich lachte. »Wir werden uns in den Moors schon nicht verirren.«
»Ich wünschte, genau das könnte ich«, rief sie leidenschaftlich. »Ich würde gern für immer und ewig in den Moors herumlaufen und nie zurückkehren.«
Ich verstand sie nicht. War sie nur eigenartig, oder litt sie unter irgendeiner Krankheit?
»Geht es dir gut, Helen? Du wirkst wirklich ziemlich angespannt. Denkst du nicht, du solltest Mrs. Hartle sagen – «
»Nein!«, platzte Helen heraus. »Wage ja nicht, ihr irgendetwas zu erzählen!«
»Tut mir leid«, sagte ich verblüfft. »Ich wollte dir nur helfen.«
»Nun, lass es einfach.« Sie starrte vor sich hin, während sie versuchte, eine Reihe zerknitterter Noten auf einen Stapel zu legen. »Konzentrier dich darauf, dir selbst zu helfen. Du wirst es brauchen.«
Ich beendete meine Arbeit, ohne noch einen weiteren Versuch zu unternehmen, mit ihr ein bisschen ins Gespräch zu kommen. Und ich freute mich auf den Tag, an dem wir Fairfax Hall sehen würden, auch wenn die verrückte Helen Black es nicht tat.
Neunzehn
Das Tagebuch von Lady Agnes,
4. November, 1882
Ich bin fast wahnsinnig vor Sorge.
Ich wünschte, ich könnte S. genauso leicht heilen wie Martha. Meine alte Amme hat lange Zeit unter grauem Star und einer eingeschränkten Sehfähigkeit gelitten, aber jetzt läuft sie überall lachend herum und ruft, dass ein Wunder geschehen ist und sie wieder vollkommen normal sehen kann. Ich weiß allerdings, was diese Veränderung wirklich hervorgerufen hat – die Macht des lebendigen Feuers, die ich in meinem Heilerkreis beschworen habe.
Ich kann mich über diesen Erfolg nicht so freuen, wie ich es eigentlich sollte, denn ich mache mir große Sorgen um meinen geliebten Freund. Es ist, als würde er unter einer seltsamen Depression leiden, und er ist so blass und dünn wie damals, als er von seiner langen
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