Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
dachte ich, du wüsstest vielleicht auch etwas über Agnes«, sagte ich. »Ich denke oft an sie, und an die verrückten Dinge, die ich sehe. Ich glaube, sie haben mit Agnes zu tun. Sie ist irgendwie … sie ist mir nahe. Auf irgendeine Art und Weise mit mir verbunden. Es ist schwer zu erklären, aber ich frage mich, ob du jemals gehört hast, dass sie ein Kind hatte, bevor sie gestorben ist? Ich weiß, dass es vollkommen verrückt klingt.«
Sebastian ließ mich los und stand auf. »Es stimmt«, sagte er langsam. »Sie ist von Wyldcliffe weggelaufen und hat irgendeinen zwielichtigen Maler geheiratet, einen Künstler, der sich nur mühsam über Wasser halten konnte. Sie hatten ein Kind. Eine Tochter.«
Demnach stimmte der erste Teil meiner Theorie nicht. Agnes hatte also doch geheiratet. Was war dann mit Effie? War sie die echte Tochter von Agnes?
»Weißt du, was mit dem Kind passiert ist?«, fragte ich eifrig.
Sebastian wandte sich mit müden Augen zu mir um. »Warum willst du das alles wissen?«
»Ich dachte, ich hätte etwas über Agnes herausgefunden, das auf eine Verbindung mit meiner Familie hinweist, aber ich muss da etwas falsch verstanden haben.«
»Wie meinst du das?«
Jetzt strömte alles in einem Schwall aus mir heraus: der Brief vom Pflegeheim; das Baby Effie, das im gleichen Jahr in Uppercliffe eintraf, in dem Agnes gestorben war; meine Vermutung, dass es sich um Agnes’ uneheliches Kind handeln könnte. Ich erzählte ihm von dem Schriftstück mit dem kryptischen Hinweis auf das »Erbstück«, das an Evelyn Smiths Nachkommen weitergereicht wurde, und von dem letzten Geschenk, das ich von Frankie erhalten hatte.
»Eine Halskette?« Jetzt klang Sebastians Stimme drängender. »Ist es die, die du vor kurzem am See getragen hast? Ich habe sie mir gar nicht richtig angesehen. Lass mich mal einen Blick auf sie werfen.«
»Na schön«, erwiderte ich. »Einen Moment.«
Als ich versuchte, das Band zu lösen, raschelte etwas in den dunklen Büschen. Ich sah mich um und zögerte aus einem vagen Impuls heraus kurz, den Anhänger abzunehmen, selbst für Sebastian, aber dann hielt ich ihn ihm doch hin. Er schimmerte silbrig im Mondlicht, und er streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu nehmen.
Unvermittelt zuckte ein Blitz aus blauem Licht auf, und Sebastian taumelte zurück. Er hielt sich den Arm. Der Anhänger fiel auf den Boden.
»Sebastian! Was ist passiert?«
Er hatte die Augen geschlossen und antwortete nicht; dann sah er langsam auf und schenkte mir ein gequ?ltes, verzerrtes L?cheln. ?Das war nur die statische Aufladung. So eine starke Wirkung hast du auf mich.? Er sackte auf der Bank zusammen, bedeckte mit beiden H?nden das Gesicht. Ich st?rzte an seine Seite und legte meine Arme um ihn.
»Was ist? Was ist los?«
Er stöhnte. »Was geschieht mit uns, Evie?«
»Nichts, gar nichts geschieht. Ich werde Miss Scratton dazu bringen, dass wir uns richtig sehen dürfen – du weißt schon, an den Wochenenden. Ich werde Dad schreiben und es ihm erklären, und er wird die Sache mit der Schule regeln. Es gibt keinen Grund zur Sorge.«
Aber noch während ich das sagte, wusste ich, dass es nicht stimmte.
»Es wird nicht funktionieren«, sagte er und starrte auf den Boden. »Es kann nicht funktionieren. Ich muss gehen. «
Mir wurde plötzlich schwindelig. Das alles geschah nicht wirklich. Er hatte diese Worte nicht gesagt. Aber er stand auf, ging von mir weg, machte Anstalten, mich zu verlassen.
»Das kannst du nicht tun … nicht einfach so, Sebastian«, rief ich aufgebracht.
»Evie, du hast mir einmal versprochen, nicht schlecht von mir zu denken. Ich muss wissen, dass du dieses Versprechen nicht vergisst, wenn ich weg bin.«
»Was ist mit letzter Nacht?«, stammelte ich. »Du hast gesagt, wir würden für immer zusammenbleiben.«
»Und du würdest es in alle Ewigkeit bereuen.«
»Das würde ich nicht, das würde ich nicht!«
»Aber ich würde es«, sagte er schroff. »Ich würde es tun, Evie.«
Tränen brannten in meinen Augen. Eine schreckliche Last legte sich auf mein Herz. Ich musste in der Nacht zuvor irgendetwas falsch gemacht haben. Dabei hatte ich seine Küsse lediglich mit ehrlicher Freude erwidert. Jetzt hatte ich das Gefühl, als würde ich mich in einem tückischen Meer befinden, ohne Lotse, ohne irgendjemandem, der mich leitete. Ich lief hinter ihm her.
»Wohin gehst du? Bitte bleib bei mir«, bat
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