Die Achte Fanfare
er nicht wußte, ob er sie gegen die Hashi oder gegen diese Frau einsetzen mußte. Sie liefen über die Straße und bogen in eine schmale Gasse ein, handelten ganz automatisch und vertrauten ihr Schicksal einem starken Willen und einem noch stärkeren Vorsprung an. Die Minuten waren genauso schwer zu messen wie die Entfernung, die sie zurücklegten, da sie aufs Geratewohl liefen und einige Straßen zweimal passierten. Doch allmählich wurden die Schritte ihrer Verfolger leiser und erstarben dann ganz. Sie erreichten einen Ausläufer des Hyde-Park am Marble Arch und kehrten dann zur Bond Street zurück, wo sich Kimberlain von der Frau in eine U-Bahn-Station hinabführen ließ.
Sie blieb neben der automatischen Fahrkarten-Ausgabe stehen, als Kimberlain grob ihr Handgelenk umfaßte. »Während der Fahrt können Sie mir erklären, wer Sie sind.«
»Wir haben die ganze Nacht für Erklärungen, Fährmann, und wir werden sie wohl brauchen.«
Der U-Bahn-Waggon war praktisch leer. Ihnen stand ein Dutzend Sitzplätze zur Verfügung.
»Mein Name ist Danielle.«
»Das verrät mir nicht, wer Sie sind.«
»Ich bin vieles. Ich …«
Sein Gesicht verriet Abscheu. »Bitte, keine Rätsel.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter und hätte nur die Finger zusammendrücken müssen, um ihr Schmerzen zuzufügen.
Danielle zuckte nicht einmal zusammen. »Tun Sie mir ruhig weh. Das spielt keine Rolle. Mir haben schon ganz andere Leute weh getan.«
»Warum haben Sie mich im Wachsfigurenkabinett gerettet, nachdem Sie mir am Flughafen die Falle gestellt hatten?«
»Ich habe Ihnen keine Falle gestellt. Ich muß allerdings zugeben, daß mein Team infiltriert wurde. Ich sollte ebenfalls sterben.« Sie hielt inne, als erwartete sie, daß er sie unterbrechen würde. Als er dies nicht tat, fuhr sie fort: »Ich fange mit dem an, womit diese Sache für mich begann. Ich habe eine Hashi-Festung überfallen.«
Jetzt unterbrach er sie. »Sie haben was?«
»Bitte, lassen Sie mich erklären. Ihre Fragen beantworte ich später. Für den Augenblick müssen Sie akzeptieren, was ich Ihnen sage.«
»Die Hashi werden nicht jeden Tag überfallen, Miß.«
»Hören Sie mir einfach zu! Während des Überfalls gelangte ich in den Besitz gewisser Informationen, die mich nach Boston führten, zu Mendelson …«
»Und zu mir.«
»Zufällig, wenn ich mich nicht völlig irre. Wir verfolgen auf verschiedenen Fährten das gleiche Ziel. Deshalb brauchen wir Sie auch.«
»Also ließen Sie mich entführen.«
»Das war die sicherste Möglichkeit, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Um alles zu verstehen, müssen Sie die Wahrheit direkt von der Quelle erfahren und nicht von mir.«
Die U-Bahn hielt an.
»An der nächsten Haltestelle steigen wir aus«, sagte sie. »Charing Cross.«
»Die Quelle?« fragte er.
»Kaum. Das wird bis morgen warten müssen. Wir haben schon unseren Rückzug eingeleitet.«
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Ein älteres Ehepaar und zwei Teenager hatten den Wagen betreten; die beiden Jugendlichen beklagten sich, daß der Fahrkartenschaffner ihnen nicht geglaubt hatte, daß sie noch keine sechzehn Jahre alt waren.
Danielle senkte ihre Stimme. »Wir können einander helfen. Wir müssen einander helfen.«
Kimberlain sah sie kalt an und nahm endlich die Hand von ihrer Schulter. »Ich muß in die USA zurückkehren, um einen Verrückten daran zu hindern, am Erntedankfest eine Million Menschen zu ermorden, und dann heraus …«
»Was … für ein Verrückter?«
»Wieso interessiert Sie das?«
»Weil diese Million Menschen, auf die Sie sich beziehen, vielleicht der Anfang sind«, sagte sie.
Ein Zug rollte über die Unterführung im U-Bahnhof Charing Gross hinweg. Gewaltige Ventilatoren bliesen warme, verbrauchte Luft in die ansonsten kalte Nacht, womit die U-Bahn-Station zu einem Paradies für die Heimatlosen und Vertriebenen der Stadt wurde. Den Behörden war es monatelang gelungen, sie erfolgreich zu vertuschen, doch die Probleme, die diese Politik aufgeworfen hatte, waren größer als die, die sie gelöst hatte, und so hatte London schließlich nachgegeben, und der U-Bahnhof war wieder zum Heim der Heimatlosen geworden.
»Bis zum Morgen verstecken wir uns hier«, sagte Danielle. »Wir haben keine andere Wahl. Die Hashi sind überall. Wenn wir Glück haben, werden sie hier nicht suchen.«
Kimberlain pflichtete ihrer Einschätzung der Situation bei und folgte ihr zu den qualmenden Feuern und den Kisten, die viele Penner als
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