Die Achte Fanfare
anderem. Ich trieb mich beinahe in den Wahnsinn, indem ich auszurechnen versuchte, wie viele alte Schulden ich noch begleichen mußte, bis ich das Gleichgewicht wiederhergestellt hatte. Ich war vom Gefangenen der einen Art Moral zu dem einer anderen geworden. Meine Taten blieben praktisch gleich; nur die Rechtfertigungen haben sich verändert. Und obwohl ich das alles einsehe, kann ich nicht reinen Gewissens sagen, daß ich irgend etwas bedauere, denn ich kann endlich wieder ruhig schlafen, ohne mitten in der Nacht schweißgebadet aufzuwachen, wie ein Kind, das einen Alptraum gehabt hat. Doch mir erging es schlimmer als einem verängstigten Kind, denn ich konnte mich nie daran erinnern, was ich in diesem Traum gesehen hatte. Es war so tief in mir vergraben, daß ich es immer wieder verlor.«
»Charon war niemals so philosophisch, wenn er seine Passagiere über den Fluß Styx beförderte.«
»Er hatte auch selten so viel zu tun wie ich in letzter Zeit.«
Der Verstand war hin- und hergerissen. Das Problem, so erkannte er, lag in der Tat bei seinem ersten Leben. Doch nicht nur bei seinem eigenen. Der Augenblick der blendenden Hitze hatte das zweite Leben und die Wahrheit einer neuen Daseinsebene hervorgebracht. Und doch war der Schmerz geblieben, so daß ein weiterer Augenblick blendender Hitze erforderlich war, um zu erreichen, was er erreichen mußte, wollte er endlich den Frieden finden, den er suchte.
So einfach! So offensichtlich!
Das erste Leben der Zivilisation war ein Fehlschlag gewesen und hatte verzweifelt ein zweites gefordert, um eine Gesamtheit zu erreichen. Der Verstand betrachtete das Schicksal, und das Schicksal erwiderte den Blick. Genauso klar wie die notwendigen Ziele waren die Mittel, die der Verstand aus den Schatten der Erinnerungen seines ersten Lebens zog. Wie passend, daß solch ein Wunder wie das erste Leben die Möglichkeit in sich bergen sollte, das zweite Leben der Zivilisation zu zeugen. In der Tat, in der Sichtweise des Verstandes war dies eher eine Geburt denn ein Tod, oder eine Geburt aus demTod.
Endlich wurden die unaufhörlichen, tobenden Schmerzen seiner Gedanken gedämpft. Die Gesichter plagten ihn nun nicht mehr in dem traumähnlichen Zustand, den er Schlaf nannte. Sie hatten ihm den Weg gezeigt, und der Verstand erkannte, daß das Schicksal ihn nicht nur ansah, sondern auch lächelte.
Schließlich ruhte der Verstand.
DIE SIEBENTE FANFARE
DIE RITTER DES JOHANNITERORDENS Montag, 23. November, 8 Uhr
27
Der Flug mit der kleinen Privatmaschine von London zum Flughafen Luqa bei Maltas Hauptstadt Valetta dauerte drei Stunden und erwies sich als so ereignislos wie ihre Fahrt zum Flughafen Gatwick nach Anbruch der Dämmerung. Kimberlain hatte sich mittlerweile damit abgefunden, die letzten Einzelheiten von Benbassets Plan – die Verbindung zwischen dem entführten U-Boot und Spinnennetz – erst zu erfahren, nachdem sie ihr endgültiges Ziel erreicht hatten.
Die Erklärung kam eine halbe Stunde später, nach einer Fahrt durch die angenehm kühle Luft der Insel. An einer vereinbarten Stelle am Flughafen wartete ein Wagen auf Danielle. Sie bog in eine Parklücke direkt vor dem Hof der St.-John's-Kathedrale und führte Kimberlain die Treppe zum Gebäude hinauf. Die Kathedrale des heiligen Johannes war von 1573 bis 1577 als Mahnmal an die große Belagerung der Ritter des Johanniterordens erbaut worden und hatte bis zu diesem Tag ihre majestätische Eleganz bewahrt. Das Hauptportal wurde von zwei viereckigen Renaissancetürmen flankiert; einer davon war mit einer Glocke versehen. Der Eingang befand sich zwischen zwei Bronzekanonen, die Kimberlain gern restauriert und seiner Waffensammlung hinzugefügt hätte. Diese bizarre Mischung aus dem Militärischen und dem Religiösen, so vermutete er, bildete einen wesentlichen Bestandteil der maltesischen Kultur.
Danielle ging die Marmortreppe hinauf, durch einen Säulengang, über dem sich eine Galerie befand, und betrat die Kathedrale. Ihre Tiefe und Schönheit beeindruckten den Fährmann augenblicklich. Der Boden des Hauptschiffs unter dem hohen, engen Gewölbe der Kathedrale war zum größten Teil in farbigem Marmor ausgeführt. Auf zahlreichen Grabplatten waren die Namen und Insignien der Ritter des Johanniterordens festgehalten, deren Rüstungen den Eindruck eines massiven steinernen Teppichs machten. Die Decke war abgerundet und nicht minder prachtvoll; zahlreiche geriffelte Abschnitte verliefen wie ein Tunnel zum Chorraum.
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