Die Achte Fanfare
gröbsten Raster habe ich etwa dreihundert davon gefunden, von denen ich zweihundertfünfzig leicht wieder aussortieren konnte. Die übrigen habe ich einer Wahrscheinlichkeitsberechnung unterzogen.«
»Wer hat die höchste Punktzahl?«
»Eine Schnecke namens Lisa Eiseman, Präsidentin und Aufsichtsratsvorsitzende der TLP Industries in Atlanta.«
»TLP Industries … Machen die nicht in …«
»Ja«, warf Captain Seven ein. »Spielzeug. Erfinder und Patentinhaber des interaktiven Memory-Chips. Sie haben ein Vermögen mit ihrem Programm an batteriebetriebenen Figuren gemacht, den sogenannten Powerized Officers of War, oder in der knalligen Kurzform: den POW-Puppen.«
»Puppen?«
Der Captain nickte. »Sozusagen. Die TLP hat sich auf Spielzeugsoldaten spezialisiert.«
7
Das Fotogeschäft befand sich auf der M Street in Georgetown, drei Häuserblocks vom Hotel Four Seasons entfernt. Eingezwängt zwischen einem Eissalon und einem Schallplattenladen wirkte es völlig unschuldig, bis hin zu dem kühnen Schild, das den Kunden versicherte, daß sie die fertigen Farbfotos am gleichen Tag abholen konnten, an dem sie die Filme gebracht hatten. An diesem Tag baumelte jedoch eine volle Stunde vor dem offiziellen Geschäftsschluß von neunzehn Uhr ein Schild mit der Aufschrift GESCHLOSSEN im Fenster.
In einem der drei Räume hinter dem eigentlichen Ladenlokal sah ein Mann mit einer dicken Brille von einer Entwicklungsmaschine auf. Er betrachtete das entwickelte Filmmaterial noch einmal auf einem hochempfindlichen computergesteuerten Vergrößerungsgerät und sah dann durch die rote Halbdunkelheit zu Danielle hinüber.
»Da hätten wir's«, sagte er. »Keine erstklassige Qualität, doch besser bekomme ich es nicht hin.«
Danielle schaute durch die Linse, um zu sehen, was er von den verbrannten Seiten rekonstruiert hatte. Nachdem man ihr die vorläufigen Ergebnisse mitgeteilt hatte, war sie sofort nach Washington aufgebrochen. Während des langen Flugs über den Atlantik hatte sie zu schlafen versucht, doch jedesmal, wenn sie eindöste, stellten sich verworrene Träume von ihren Eltern ein, die sie, da sie sich nicht mehr an sie erinnern konnte, immer nur von hinten sah. Die Träume kamen stets, wenn sie dem größten Streß ausgesetzt war, als wollten sie sie an den Weg erinnern, der sie dorthin geführt hatte, wo sie nun war. Ihre Eltern waren bloße Schatten in ihrem Gedächtnis, dunkel und ohne Umrisse. Viel lebhafter erinnerte sie sich an mehrere Flüchtlingslager im Libanon. In jedem wurde sie unter einem anderen Namen geführt, doch die wirkliche Hölle begann erst, als sie zwölf Jahre alt war. Sie war schlank und zerbrechlich, doch auf geheimnisvolle Art und Weise attraktiv, und sie war hellhäutiger als die anderen Mädchen, hatte jedoch die dunkelsten Augen.
Der erste Mann, der sie mit Gewalt genommen hatte, roch nach Schnaps und Schweiß und fügte ihr Schmerzen zu, wie sie sie nie für möglich gehalten hätte. Und als er fertig war, hatte er ihren blutigen Körper in sein Zelt geschleift, wo weitere Männer darauf warteten, an die Reihe zu kommen. Als der erste von ihnen sie bestieg, hatte sie noch schlimmeren Schmerz empfunden als zuvor. Sie wollte schreien, fand jedoch nicht die Kraft dazu; und schließlich dachte sie daran, die Luft anzuhalten, bis sie tot war.
Plötzlich stürmten drei gut gekleidete Männer in das Zelt. Sie rissen das wilde Tier, das auf ihr lag, zurück und schnitten ihm die Kehle durch, während sie ihre Waffen auf seine Gefährten richteten. Als sie dann ohnmächtig wurde, hob sie ein betroffen wirkender Mann, der gut roch, vom Boden auf.
Als sie wieder zu sich kam, war es heller Tag, und man half ihr aus einem Auto. Sie hatte eine verschwommene Erinnerung daran, in einem Flugzeug geflogen zu sein, das größer war als die, die ständig über das Lager summten. Sie trug saubere, frisch duftende Kleidung, die sogar beinahe die richtige Größe hatte. Vor ihr befand sich ein Lager, das keinem derer ähnelte, die sie kannte. Statt Zelten gab es hier Gärten und richtige Häuser und weite Rasenflächen und Wälder. Das Gelände war von einer hüfthohen Steinmauer umgeben und nicht von Stacheldraht, mit dem sie aufgewachsen war. Die Gebäude beherbergten große Schlafsäle, in denen jeweils sechs Kinder untergebracht waren. Als man sie zu ihrem Bett führte, sah sie eine Kommode, in der, ordentlich gefaltet, weitere frische Kleidung lag, und in ihrem Schrank hingen Kleider. Das
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