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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ich ohne Murren mitgekommen.
    Sie ärgerte sich über seine Schuldzuweisung. Das würde sie ihm nicht verzeihen. Sie versuchte sich einzureden, dass Anatole den Streit vom Zaun gebrochen und sie sich im Grunde wirklich nichts vorzuwerfen hatte.
    Also seufzte sie schmollend und schaute demonstrativ zum Fenster hinaus.
    Doch als sie einmal zu Anatole hinüberschaute, um nachzusehen, ob der ihre Verstimmung überhaupt wahrnahm, verdrängte ihre wachsende Sorge um Isolde allmählich die Erinnerung an den Streit mit ihrem Bruder.
    Die Lokomotive stieß einen Pfiff aus. Dampf strömte in die feuchte und stürmische Luft. Der Zug setzte sich zitternd in Bewegung.
     
    Wenige Minuten später stiegen auf dem Bahnsteig gegenüber Inspektor Thouron und zwei Pariser Beamte in Uniform aus dem Zug aus Marseille. Sie hatten zwei Stunden Verspätung, weil durch den starken Regen hinter Béziers ein Erdrutsch die Gleise blockiert hatte.
    Thouron wurde von Inspektor Bouchou von der Carcassonner Gendarmerie begrüßt. Die beiden Männer schüttelten einander die Hände. Dann zogen sie die flatternden Mäntel eng um den Körper und hielten ihre Hüte fest auf den Kopf gedrückt, während sie auf dem Weg hinaus über den zugigen Bahnsteig mit heftigem Gegenwind kämpften.
    Die Fußgängerunterführung, die eine Seite des Bahnhofs mit der anderen verband, war überschwemmt, daher stand der Vorsteher an einem kleinen Tor mit Zugang zur Straße und hielt die Kette fest, weil er fürchtete, es würde sonst vom Sturm aus den Angeln gerissen.
    »Nett, dass Sie mich abholen, Bouchou«, sagte Thouron, der nach der beschwerlichen Reise müde und schlecht gelaunt war.
    Bouchou war ein korpulenter, rotgesichtiger Mann kurz vor der Pensionierung und sah mit seinem dunklen Teint und der untersetzten Statur genauso aus, wie Thouron sich den typischen Mann im Midi vorstellte. Doch dem ersten Eindruck nach schien er ein durchaus freundlicher Bursche zu sein, was Thouron hoffen ließ, dass seine Sorge unbegründet war, er und seine Männer könnten als Nordfranzosen – schlimmer noch, als Pariser – auf Misstrauen stoßen.
    »Ich freue mich, Ihnen behilflich zu sein«, rief Bouchou gegen den Wind an. »Obwohl es mich ehrlich gesagt verwundert, warum jemand in Ihrer Position so eine Reise persönlich auf sich nimmt. Es geht doch nur darum, Vernier ausfindig zu machen und über den Mord an seiner Mutter in Kenntnis zu setzen,
è?
« Er musterte Thouron aufmerksam. »Oder geht es um mehr?«
    Der Inspektor seufzte. »Sehen wir zu, dass wir aus dem Wind rauskommen, dann erzähle ich es Ihnen.«
    Zehn Minuten später saßen sie in einem kleinen Café unweit des Cour de Justice Présidiale, wo sie ungestört reden konnten. Die meisten Gäste waren entweder Kollegen oder Mitarbeiter des Gefängnisses.
    Bouchou bestellte zwei Gläser eines heimischen Likörs, La Micheline, und rückte dann seinen Stuhl zurecht, um zuzuhören. Für Thourons Geschmack war der Likör eine Spur zu süß, doch er trank ihn trotzdem dankbar, während er den Fall in groben Zügen schilderte.
    Marguerite Vernier, Witwe eines Kommunarden und in jüngerer Zeit Geliebte eines bekannten und hochdekorierten Kriegshelden, war am Sonntag, den 20 . September, abends ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Seitdem war ein Monat vergangen, ohne dass es gelungen war, ihren Sohn und ihre Tochter als nächste Angehörige zu verständigen.
    Allerdings waren, obwohl kein Grund vorlag, Vernier für tatverdächtig zu halten, inzwischen einige interessante Punkte, um nicht zu sagen Ungereimtheiten, ans Licht gekommen. So zum Beispiel die sich verdichtenden Hinweise darauf, dass er und seine Schwester versucht hatten, ihre Spuren zu verwischen. Weshalb Thourons Leute auch eine ganze Weile gebraucht hatten, um herauszufinden, dass Monsieur und Mademoiselle Vernier vom Gare Montparnasse Richtung Süden gefahren waren, und nicht vom Gare Saint-Lazare nach Westen oder Norden, wie zunächst angenommen.
    »Ehrlich gesagt«, gestand Thouron, »wenn nicht einer meiner Männer so auf Zack gewesen wäre, hätten wir noch immer keine Spur von ihnen.«
    »Weiter«, sagte Bouchou, die Augen wach und interessiert.
    »Wie Sie verstehen werden«, erklärte Thouron, »konnte ich nach vier Wochen eine Rund-um-die-Uhr-Observierung der Wohnung nicht länger rechtfertigen.«
    Bouchou zuckte die Achseln.
»Bien sûr.«
    »Doch im Zuge der Ermittlungen hatte sich einer meiner Leute – Gaston Leblanc, ein

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