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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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los?«
    Einen Moment lang stand die Zeit still. Anatole spürte den heißen Atem eines der beiden Angreifer, der ihm ins Ohr flüsterte.
    »Une leçon.«
    Dann das Gefühl von Händen, die über seinen malträtierten Körper krochen, Finger, die in die Tasche seiner Weste tauchten, ein scharfer Ruck, und die Taschenuhr seines Vaters wurde aus der Halterung gerissen.
    Endlich fand Anatole seine Stimme wieder.
    »Hierher! Schnell!«
    Mit einem letzten Tritt in die Rippen von Anatole, der daraufhin vor Schmerz zusammenklappte, wandten die beiden Angreifer sich ab und rannten in die entgegengesetzte Richtung des wackeligen Lichts, das die Lampe des Nachtwächters warf.
    »Hierher!«, rief Anatole erneut.
    Er hörte schlurfende Schritte näher kommen, dann das Klirren von Glas und Metall auf dem Boden, und der alte Nachtwächter nahm ihn in Augenschein.
    »Monsieur, qu’est-ce qui s’est passé?«
    Anatole stemmte sich mit Hilfe des alten Mannes in eine sitzende Position.
    »Mir geht’s gut«, sagte er, nach Luft ringend. Er hob eine Hand ans Auge, und als er sie wieder sinken ließ, waren seine Finger rot.
    »Sie sind ganz schön ramponiert.«
    »Ist nicht so schlimm«, beteuerte er. »Eine kleine Blessur.«
    »Monsieur, wurden Sie ausgeraubt?«
    Anatole antwortete nicht sofort. Er atmete einmal tief durch und streckte dann dem Nachtwächter die Hand hin, um sich von ihm auf die Beine helfen zu lassen. Schmerz schoss ihm durch den Rücken bis hinunter in die Beine. Er brauchte einen Moment, um das Gleichgewicht zu finden, dann richtete er sich auf. Er betrachtete seine Hände, drehte sie um. Seine Knöchel waren aufgeschürft und bluteten, und seine Handflächen waren von der Wunde über dem Auge blutverschmiert. Er spürte eine Abschürfung am Fußknöchel, wo der Stoff seiner Hose auf rohem Fleisch scheuerte.
    Anatole brauchte eine Weile, um sich zu fassen, dann ordnete er seine Kleidung.
    »Haben die Ihnen viel abgenommen, Monsieur?«
    Er klopfte seine Jacke ab und stellte verblüfft fest, dass seine Brieftasche und sein Zigarettenetui noch immer da waren.
    »Offenbar nur meine Uhr«, sagte er. Seine Worte schienen von weit weg zu kommen, als die Wirklichkeit in seinen Kopf drang und sich dort festsetzte. Es war kein zufälliger Raubüberfall gewesen. Genauer gesagt, überhaupt kein Straßenraub, sondern eine Lektion, wie der Mann gesagt hatte.
    Anatole schob den Gedanken beiseite, holte einen Geldschein hervor und drückte ihn dem alten Mann in die tabakfleckigen Finger. »Als Dankeschön für Ihre Hilfe, mein Freund.«
    Der Nachtwächter blickte nach unten. Ein Lächeln erstrahlte. »Sehr großzügig, Monsieur.«
    »Aber es wäre unnötig, irgendwem von der Sache zu erzählen, mein Guter. Würden Sie mir jetzt vielleicht noch eine Droschke besorgen?«
    Der alte Mann lupfte leicht seine Mütze. »Wie Sie wünschen, Monsieur.«

Kapitel 8
    ∞
    A ls Léonie mit einem Ruck erwachte, war sie ganz verwirrt.
    Zuerst konnte sie sich nicht erklären, warum sie im Sessel zusammengerollt im Salon saß. Dann schaute sie an ihrem zerrissenen Abendkleid hinunter und erinnerte sich. Der Aufruhr im Palais Garnier. Das späte Abendessen mit Anatole. Achille, die ganze Nacht Schlaflieder spielend. Sie sah auf die Sèvres-Uhr auf dem Kaminsims. Viertel nach fünf.
    Ihr war eiskalt und ein bisschen übel, aber als sie leise den Raum verließ und den Flur hinunterging, sah sie, dass auch Anatoles Tür jetzt geschlossen war, was sie beruhigte.
    Ihr Zimmer lag ganz am Ende. Es war das kleinste, aber freundlich, luftig und hübsch in Rosa und Blau möbliert. Ein Bett, ein Schrank, eine Kommode, ein Waschtisch mit blauem Porzellankrug und Schüssel, ein Frisiertisch und ein kleiner Hocker mit Klauenfüßen und Gobelinbezug.
    Léonie stieg aus dem ramponierten Abendkleid, ließ es zu Boden gleiten und löste ihre Unterkleider. Der Spitzensaum des Kleides war grau verdreckt und hing an mehreren Stellen lose herab. Das Dienstmädchen würde einige Arbeit damit haben. Mit unbeholfenen Fingern öffnete Léonie das Korsett und löste die Haken, bis sie sich herauswinden konnte und es auf den Hocker warf. Sie spritzte sich ein wenig von dem Wasser, das noch vom Vorabend stammte und eiskalt geworden war, ins Gesicht, streifte dann das Nachthemd über und kroch ins Bett.
     
    Einige Stunden später wurde sie von den Geräuschen der Bediensteten geweckt.
    Als sie merkte, wie hungrig sie war, stand sie rasch auf, zog die Vorhänge zurück und

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