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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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oder ihre Zunge zu hüten. Andererseits war ihre Zuneigung zu Isolde unübersehbar, und sie hatte sich fürsorglich um ihre Tante gekümmert, seit sie aus Carcassonne zurückgekommen waren.
    Anatole hatte vorgehabt, schon letztes Wochenende mit Léonie zu reden. Er hatte ihr reinen Wein einschenken, ihr alles beichten wollen, seit wann er mit Isolde liiert war und in welcher Situation sie sich jetzt befanden.
    Aufgrund von Isoldes angegriffener Gesundheit hatte er sein Vorhaben verschoben, doch jetzt, nach Erhalt der Duellforderung, war das Gespräch mit Léonie dringender denn je. Anatole klopfte mit den Fingerspitzen auf den Tisch. Er beschloss, ihr noch heute Morgen seine Heirat zu gestehen. Je nachdem, wie Léonie die Sache aufnahm, würde er ihr von der Duellforderung erzählen oder nicht, ganz wie es ihm angemessen erschien.
    Er stand auf, nahm alle Briefe mit und ging durch das Speisezimmer in die Halle, wo er die Glocke läutete.
    Marieta erschien.
    »Würdest du Mademoiselle Léonie bitte ausrichten, sie möge heute Mittag zu mir in die Bibliothek kommen? Ich möchte unter vier Augen mit ihr reden, sie sollte die Verabredung also für sich behalten. Bitte, Marieta, mach ihr klar, wie wichtig das ist. Außerdem besteht keine Notwendigkeit, Madame Isolde gegenüber den Erhalt der Briefe von heute Morgen zu erwähnen.«
    Marieta blickte verwundert, hinterfragte seine Anweisungen aber nicht.
    »Wo ist Pascal?«
    Zu seiner Überraschung wurde das Hausmädchen rot. »In der Küche, glaube ich, Sénher.«
    »Sag ihm, ich erwarte ihn in zehn Minuten hinter dem Haus«, befahl er.
    Anatole ging auf sein Zimmer, um sich wetterfeste Kleidung anzuziehen. Er schrieb eine knappe und förmliche Antwort an Constant, löschte die Tinte ab und versiegelte den Umschlag, um den Inhalt vor neugierigen Augen zu schützen. Pascal konnte die Antwort am Nachmittag überbringen. Jetzt hatte er nur noch den einen Gedanken: Er durfte seinen Widersacher auf keinen Fall verfehlen, für Isolde und für ihr gemeinsames Kind.
    Der Brief aus Paris verblieb ungeöffnet in seiner Westentasche.
     
    Léonie ging ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab und grübelte darüber nach, warum Anatole sie am Mittag unter vier Augen sprechen wollte. Ob er ihre List durchschaut hatte? Oder war ihm zu Ohren gekommen, dass sie Pascal weggeschickt hatte und allein aus der Stadt zurückgekehrt war?
    Sie hörte Stimmen unter ihrem offenen Fenster und ging nachsehen. Weit hinausgelehnt, die Hände auf den Steinsims gestützt, konnte sie beobachten, wie Anatole zusammen mit Pascal, der mit beiden Händen eine längliche Holzkiste trug, über den Rasen ging. Die Kiste sah aus wie ein Pistolenkoffer. Léonie hatte solche Waffen noch nirgends im Haus gesehen, aber vermutlich hatte ihr Onkel welche besessen.
    Vielleicht gehen sie zur Jagd?
    Sie runzelte die Stirn, als ihr klar wurde, dass dem wohl nicht so war. Anatole war nicht für die Jagd gekleidet. Außerdem hatten die beiden keine Schrotflinten dabei. Nur Pistolen.
    Furcht packte sie plötzlich, eine Furcht, die umso stärker war, als sie sie nicht benennen konnte. Sie griff nach Hut und Jacke, schob die Füße hastig in ihre robusten Schuhe und wollte Anatole folgen.
    Dann verharrte sie.
    Zu oft schon hatte Anatole ihr vorgeworfen, sie würde handeln, ohne zu denken. Es war wider ihre Natur, tatenlos abzuwarten, aber was würde es nützen, ihm zu folgen? Falls er etwas völlig Harmloses vorhatte, würde es ihn ganz sicher ärgern, wenn sie ihm nachlief wie ein Hündchen. Er konnte nicht lange fortbleiben wollen, da er sich für die Mittagsstunde mit ihr verabredet hatte. Sie schaute zur Uhr auf dem Kaminsims. Noch zwei Stunden.
    Sie warf den Hut aufs Bett und streifte die Schuhe ab, dann sah sie sich im Zimmer um. Sie sollte lieber bleiben, wo sie war, und die Zeit bis zum Treffen mit ihrem Bruder irgendwie sinnvoll gestalten.
    Léonie betrachtete ihre Malutensilien. Sie zögerte, dann ging sie zum Schreibtisch und begann, ihre Pinsel und das Zeichenpapier auszubreiten. Die Gelegenheit war ideal, um weiter an ihrer Serie von Illustrationen zu arbeiten. Es fehlten nur noch drei.
    Sie holte Wasser, tauchte den Pinsel ein und fing an, mit schwarzer Tusche die Konturen des sechsten von den acht Bildern an der Wand der Grabkapelle zu skizzieren.
    Karte  XVI : La Tour.

Kapitel 76
    ∞
    I m Privatsalon des Hôtel de la Reine in Rennes-les-Bains saßen zwei Männer vor einem Kaminfeuer, das entzündet worden war, um die

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