Die achte Karte
seiner Höhle gegenüberzutreten.
Aber mit einer solchen unbeherrschten Reaktion wäre das Ganze nicht beendet.
Anatole blieb stumm im Speisezimmer sitzen. Seine Zigarette brannte herab, und er zündete eine weitere an, von der er aber, lethargisch, wie er war, nicht einen Zug nahm.
Er würde für das Duell einen Sekundanten brauchen, und natürlich müsste er jemanden von hier nehmen. Vielleicht könnte er Charles Denarnaud bitten. Der hatte zumindest den Vorteil, ein Mann von Welt zu sein. Anatole hoffte außerdem, Gabignaud überreden zu können, in seiner Eigenschaft als Arzt dabei zu sein. Er war zwar sicher, dass der junge Doktor sich zunächst sträuben würde, aber letztendlich würde er ihm die Bitte wohl kaum abschlagen. Aufgrund von Isoldes Zustand musste Anatole Gabignaud in die Beziehung zwischen Isolde und ihm einweihen. Daher ging er davon aus, dass der Arzt ja sagen würde, wenn nicht ihm, dann doch Isolde zuliebe.
Er versuchte, sich die Möglichkeit eines zufriedenstellenden Ausgangs einzureden. Constant verwundet, gezwungen, ihm die Hand zu schütteln und die Fehde für beendet zu erklären. Aber es gelang ihm einfach nicht. Selbst wenn er als Sieger hervorgehen würde, war noch lange nicht garantiert, dass Constant sich an die Regeln des Duells halten würde.
Selbstverständlich blieb ihm nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen. Er war ein Ehrenmann, selbst wenn seine Handlungsweisen im Laufe des vergangenen Jahres alles andere als ehrenhaft gewesen waren. Wenn er nicht gegen Constant antrat, würde sich nie etwas ändern. Isolde würde unter einem unerträglichen Druck leben und stets damit rechnen, dass Constant wieder zuschlug. Wie sie alle. Die Rachsucht dieses Mannes wollte einfach nicht nachlassen, was sein Brief bewies. Anatole wusste, falls er sich ihm jetzt nicht stellte, würde Constants Feldzug gegen sie – gegen alle, die ihnen nahestanden – nur noch unerbittlicher werden.
In den vergangenen Tagen hatte Anatole die Bediensteten munkeln hören, es würden unten in der Stadt Gerüchte über die Domaine de la Cade kursieren. Verstörende Geschichten, die Bestie, die zur Zeit von Jules Lascombe die Gegend so furchtbar heimgesucht hatte, sei zurückgekehrt. Es hatte Anatole nicht einleuchten wollen, dass solcher Klatsch wieder auflebte, und er war geneigt gewesen, die Sache nicht ernst zu nehmen. Jetzt jedoch vermutete er Constants Hand hinter den boshaften Gerüchten.
Er knüllte das Blatt fest in der Faust zusammen. Er würde sein Kind nicht in dem Wissen aufwachsen lassen, dass sein Vater ein Feigling war. Er musste die Herausforderung annehmen. Er musste schießen, um zu siegen.
Um zu töten.
Anatole trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Es mangelte ihm nicht an Mut. Aber er war weiß Gott kein sicherer Schütze. Er wusste geschickt mit Degen und Florett umzugehen, jedoch nicht mit Pistolen.
Anatole schob den Gedanken beiseite. Darum würde er sich zu gegebener Zeit zusammen mit Pascal und vielleicht mit Hilfe von Charles Denarnaud kümmern. Im Moment standen dringendere Entscheidungen an, nicht zuletzt die Frage, ob er sich seiner Frau anvertrauen sollte oder nicht.
Anatole drückte eine weitere Zigarette aus. Könnte Isolde irgendwie von selbst von dem Duell erfahren? Eine derartige Nachricht könnte einen Rückfall bewirken und die Gesundheit des ungeborenen Kindes gefährden. Nein, er konnte es ihr nicht sagen. Er würde Marieta bitten, ihr nichts von der morgendlichen Post zu erzählen.
Er schob den in Constants Handschrift an Isolde adressierten Brief, ein Spiegelbild seines eigenen Briefes, in die Brusttasche seines Gehrocks. Er würde die Situation zwar wohl nicht lange vor ihr verbergen können, aber er wollte ihren Seelenfrieden wenigstens ein paar Stunden länger bewahren.
Er wünschte, er könnte Isolde fortschicken. Er lächelte resigniert, wohl wissend, dass er sie niemals ohne angemessene Erklärung würde überreden können, die Domaine de la Cade zu verlassen. Und da er ihr genau das nicht bieten konnte, war es sinnlos, den Gedanken weiterzuverfolgen.
Weniger einfach war die Entscheidung, ob er Léonie ins Vertrauen ziehen sollte oder nicht.
Anatole hatte inzwischen eingesehen, dass Isolde recht hatte. Er behandelte seine Schwester oft noch wie das kleine Mädchen von früher, nicht wie die junge Frau, zu der sie geworden war. Noch immer fand er sie impulsiv und mitunter kindisch, unfähig oder unwillig, ihr Temperament zu zügeln
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