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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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wie immer eine Kerze brennen ließ, um die Gespenster und bösen Geister und Ungeheuer der Nacht fernzuhalten. Sie war hundemüde, erschöpft von den Aufregungen des Tages und von ihren Empfindungen. Gedanken an ihren Bruder – und ihre Schuldgefühle, weil sie daran beteiligt gewesen war, Victor Constant zu ihm zu führen – hatten den ganzen Tag an ihr genagt.
    Weil sie sichergehen wollte, dass sie auch wirklich schlafen konnte, mischte sich Léonie einen Schlummertrunk, sah zu, wie das weiße Pulver sich in einem Glas warmem Cognac auflöste. Sie leerte es Schluck für Schluck, schlüpfte dann unter die Decke und sank in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
     
    Eine diesige Dämmerung kroch über das Wasser der Aude, als das blasse Morgenlicht der Welt wieder Gestalt gab.
    Die Flussufer, die Bürgersteige und das Kopfsteinpflaster der Bastide waren mit Handzetteln und Papier übersät. Die abgebrochene Spitze eines Gehstocks aus Buchsbaumholz, ein paar Notenblätter, über die zahllose Füße getrampelt waren, eine herrenlose Mütze. Und überall die Werbezettel von Monsieur Sabatier.
    Das Wasser der Aude war spiegelglatt und bewegte sich kaum in der morgendlichen Stille.
    Der alte Bootsmann Baptistin Cros – den in Carcassonne alle nur Tistou nannten – steuerte seinen schweren Flachkahn über den ruhigen Fluss in Richtung Barrage du Païchérou, das Stauwehr. So weit flussaufwärts waren kaum noch Spuren des Festes zum Nationalfeiertag zu sehen. Keine leeren Hülsen, keine Luftschlangen oder Werbezettel, und es hing kein Geruch nach Schießpulver oder versengtem Papier mehr in der Luft. Sein ruhiger Blick glitt über den rötlichen Lichtschein, der im Norden über der Montagne Noire schimmerte, während der Himmel von Schwarz in Blau und schließlich in morgendliches Weiß überging.
    Tistous Stakstange verfing sich an irgendetwas im Wasser. Er drehte sich um, wobei er mit geübter Leichtigkeit das Gleichgewicht hielt, und sah nach, was es sein mochte.
    Es war eine Leiche.
    Langsam wendete der alte Flussschiffer seinen Kahn. Das Wasser leckte bis dicht unter den Holzrand des Bootes, schwappte aber nicht über. Er verharrte einen Moment. Die Drähte über seinem Kopf, die eine Seite des Flusses mit der anderen verbanden, schienen in der weichen Morgenluft zu singen, obwohl kein Lüftchen wehte.
    Tistou hielt den Kahn an, indem er die Stakstange tief in den schlammigen Flussgrund rammte, dann kniete er sich hin und spähte ins Wasser. Unter der grünen Oberfläche konnte er verschwommen die Umrisse eines Frauenkörpers erkennen. Sie trieb auf der Seite, mit dem Gesicht nach unten. Tistou war froh. Die glasigen toten Augen von Ertrunkenen waren ebenso schwer zu vergessen wie die blaugeränderten Lippen und der verwunderte Ausdruck, der in die talggelbe Haut eingeätzt war. Noch nicht lange im Wasser, dachte Tistou. Ihr Körper hatte noch keine Zeit gehabt, sich zu verändern.
    Die Frau sah seltsam friedlich aus, und ihr langes blondes Haar wehte im Wasser hin und her, hin und her, wie Seegras. Tistous schwerfällige Gedanken waren ganz gebannt von dieser Bewegung. Ihr Rücken war gebogen; Arme und Beine hingen anmutig herab bis unter die Röcke, als wäre sie irgendwie mit dem Flussbett verhaftet.
    Schon wieder ein Selbstmord, dachte er.
    Tistou spannte die Beine an und beugte sich vor, stemmte die Knie gegen die Ducht. Er griff über die Bordwand und packte das graue Morgenkleid der Frau. Der Stoff war nass und vom Fluss verschlammt, doch Tistou spürte die gute Qualität. Er zog. Der Kahn geriet gefährlich in Schräglage, aber der alte Schiffer hatte Erfahrung damit und wusste, wo der Schwerpunkt lag. Er holte tief Luft, fasste den Kragen des Frauenkleides, um besser zupacken zu können, und zog dann erneut.
    »
Un, deux, trois, allez«,
sagte er laut, und der Körper glitt über die Seitenwand und schlug klatschend wie ein Fisch im Netz auf den feuchten Boden des Kahns.
    Tistou wischte sich mit seinem Taschentuch über die Stirn und rückte die Mütze, ohne die man ihn niemals sah, hinten auf dem Schädel zurecht. Ohne nachzudenken, wanderte seine Hand zur Brust, und er bekreuzigte sich. Es war ein Reflex, kein Glaubensakt.
    Er drehte die Leiche auf den Rücken. Eine Frau, nicht mehr ganz in der Blüte der Jugend, aber noch immer schön. Ihre grauen Augen waren geöffnet, und ihr Haar hatte sich im Wasser gelöst. Eine Dame aus besseren Kreisen, keine Frage. Ihre weißen Hände sahen zart aus, nicht wie

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