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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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seine eigene skeptische Sichtweise teilte. Doch der Architekt relativierte gleich darauf seine Aussage: »Andererseits können wir zum jetzigen Zeitpunkt nichts ausschließen. Es wäre nicht das erste Mal, dass durch eine zufällige Entdeckung unser Weltbild auf den Kopf gestellt wird. Ich kann nicht behaupten, dassich die moderne Physik verstehe. Aber ich weiß, dass das Universum voller Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten steckt, die sich unserem sogenannten gesunden Menschenverstand entgegenstellen. Daran hat sich durch die neueren Erkenntnisse der Physiker nichts geändert – im Gegenteil. Mir scheint, je mehr wir über die Eigenschaften des Universums erfahren, desto weniger verstehen wir es.«
    »Bisher haben wir nichts als Vermutungen«, sagte Paulus.
    »Dann sollten Sie sich daranmachen, die Hypothese zu testen – so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mag. Kommen Sie, Sie können meinen Laptop benutzen.«
    Er führte sie in ein modern eingerichtetes Arbeitszimmer. An den Wänden hingen Fotos von Bürobauten und Mehrfamilienhäusern, die Meles Vater offensichtlich entworfen hatte, sowie einige gerahmte Auszeichnungen.
    Mele und ihr Vater sahen ihm über die Schulter, während Paulus den Wikipedia-Eintrag über den Dom zu Speyer aufrief. Dort stand, dass der Dom mit einer Länge von 444 und einer Breite von 111 römischen Fuß bei seiner Errichtung eines der größten Bauwerke der Welt gewesen war.
    Paulus fand eine Website, auf der die ersten 100 000 Nachkommastellen von Pi veröffentlicht waren. Er kopierte die Ziffern ab der 49 284. Nachkommastelle, dem Produkt aus 111 und 444, in ein Tabellenkalkulationsprogramm. Aus jeweils zwei Ziffern bildete er eine Zahl: 40, 73, 33, 24, 87, 57, 54, 48 … Es war ein Leichtes, daraus mit einer einfachen Tabellenfunktion die passenden Buchstaben für den Schlüsseltext zu erzeugen. Der Rest war wieder manuelle Tätigkeit: eine Glyphe aus dem Manuskript in einen Buchstaben umwandeln, zusammen mit dem Buchstaben aus dem Schlüssel die richtige Zeile und Spalte in der Vigenère-Tabelleermitteln und das Ergebnis abschreiben, Buchstabe für Buchstabe.
    Paulus hatte insgeheim gehofft, dass sich auch dieser Versuch als Sackgasse herausstellen würde. Doch schon nach wenigen Wörtern wusste er, dass Meles Vater ins Schwarze getroffen hatte:
    BEVOR FVENFF HVNDERT JAR SINT VERGANGEN
    Die Ungeheuerlichkeit verschlug ihm den Atem. Seine Großmutter hatte das Buch Liebermans Vater vor dem Krieg gegeben. Niemand auf der Welt hatte zu jener Zeit die 49 284. Nachkommastelle von Pi gekannt.
    Meles Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Sie schien seine Erschütterung zu spüren. »Vielleicht sollten wir uns jetzt nicht allzu viele Gedanken darüber machen, wie das alles sein kann, und uns erst mal darauf konzentrieren, den Text zu entschlüsseln«, schlug sie vor.
    Paulus schluckte. Seine Hände zitterten, als er nach dem Kugelschreiber griff. Er bemühte sich, nicht über den Inhalt des Textes nachzudenken, den er übersetzte, sich stattdessen auf die einzelnen Buchstaben zu fokussieren. Das half ihm, sich zu beruhigen.
    Sie arbeiteten zu zweit, mittlerweile ein eingespieltes Team. Meles Vater ließ sie allein.
    Irgendwann ließ Paulus den Stift fallen. Ihm war übel, und er fühlte sich ausgelaugt, obwohl sie kaum mehr als eine Stunde gearbeitet hatten. Er starrte auf den Text, der sich auf dem Papier ausbreitete wie eine bösartige Krankheit:
    Bevor fünfhundert Jahre vergangen sind, wird das Blut in Strömen fließen, dass die Straßen und Flüsse rot sind davon.Es wird zwei Kriege geben, jeder von ihnen größer als alle vorhergegangenen. Wenn auch mancher Kriegsherr sich auf das Wort Gottes beruft, so wird die Gottlosigkeit das Zepter führen. Einer wird aufstehen, der große Schlächter, und man wird ihn einen Führer nennen. Sein Zorn wird das Volk Judas treffen, und großes Leid wird über es kommen, und die ganze Welt wird brennen. Feuer wird vom Himmel regnen, und die Sonne wird herabfallen und zwei Städte verbrennen, welche im fernen Reiche Cipangu liegen.
    An dieser Stelle waren wieder astrologische Zeichen eingefügt.
    »Was bedeutet denn Cipangu?«, fragte Mele. Sie wirkte blass und aufgewühlt. Ihr war offensichtlich ebenso klar wie ihm, welche Ereignisse hier beschrieben wurden.
    Er schluckte. »Das ist das mittelalterliche Wort für Japan. Ich fürchte, ich weiß schon, welches Datum diese astrologischen Zeichen hier symbolisieren: den 6. August 1945, den Tag

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