Die achte Offenbarung
Sie mir bitte folgen wollen …«
»Wir sprechen nur mit dem Chefredakteur«, sagte Mele.
Kleibert blieb gelassen. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie erzählen mir, worum es geht, und dann entscheide ich, ob wir den Chefredakteur dazuholen. Okay?«
Mele warf einen fragenden Blick zu Paulus, der nickte.
Sie folgten Kleibert in den Fahrstuhl. Er führte sie im achten Stock des Gebäudes in einen kleinen Besprechungsraum. Die Einrichtung war spärlich, aber der Ausblick über die Dächer Berlins dafür umso beeindruckender.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
Mele nickte, während Paulus um ein Glas Wasser bat.
Wie verabredet war sie es, die die vorbereitete Geschichte erzählte: »Also, wir sind nach Lourdes gefahren. Mein Mann hat Knochenkrebs, wissen Sie.« Sie warf einen entschuldigenden Blick in Paulus’ Richtung – dieses Detail war nicht abgesprochen gewesen. »Er glaubt ja nicht wirklich, dass ihm die Heilige Mutter Gottes helfen kann. Er ist nur mir zuliebe hingefahren.« Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. Paulus fragte sich, wie sie das machte. »Aber dann … kurz bevor der Segen gesprochen werden sollte …«
Der Redakteur wartete ruhig, bis sie weitersprach. Immerhin machte er jetzt einen aufmerksamen, konzentrierten Eindruck.
»Plötzlich waren da überall Schreie, und dann ist etwas explodiert, und die Menschen sind alle durcheinandergerannt.«
»Und dann?«, fragte der Redakteur, als er merkte, dass Mele nicht weitererzählte. »Haben Sie die Angreifer gesehen?«
»Ja … nein … nicht richtig«, sagte Mele. Sie machte das wirklich sehr überzeugend. »Da war ein Mann, ich habe ihn nur kurz gesehen, er hatte einen engen schwarzen Anzug an und ein Gewehr.« Die Beschreibung hatten sie ausdem REFLEKTOR-Artikel übernommen. »Ich habe gesehen, wie er etwas fallengelassen hat. Und dann ist er über die Mauer gesprungen, in den Fluss. Wir sind dann hin und haben das hier gefunden.« Sie hielt den Zettel hoch.
»Darf ich das mal sehen?«
Mele reichte ihm den Zettel.
Kleibert betrachtete mit gerunzelter Stirn die arabischen Schriftzeichen. »Was soll das sein?«, fragte er schließlich.
»Das … das wissen wir doch nicht«, sagte Mele. »Wir können doch kein Arabisch!«
»Ein Bekennerschreiben, vermute ich«, ergänzte Paulus.
»Es sieht auf den ersten Blick nicht wie ein Bekennerschreiben aus«, sagte Kleibert. »Aber wir lassen es analysieren. Warum sind Sie damit nicht zur Polizei gegangen? Ist Ihnen bewusst, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie Beweismittel unterschlagen?«
»Wir … wir wussten doch erst gar nicht, dass das ein Beweismittel ist«, sagte Mele. Ihr Gesichtsausdruck wurde verschlagen. »Und außerdem … die Polizei macht doch sowieso nichts. Wir haben gedacht, dass die Presse … dass Sie …«
Kleibert machte ein angewidertes Gesicht. Aber er war Journalist genug, um den Köder zu schlucken. »Also gut. Wenn Sie mir das Dokument dalassen, gebe ich es einem Experten, der es sich ansieht. Wenn sich dann herausstellt, dass es sich um ein Bekennerschreiben handelt, werden wir es der Polizei übergeben und Sie als Quelle anonym behandeln.«
Mele griff nach dem Zettel und zog ihn Kleibert aus der Hand. »Kommt nicht in Frage!«, sagte sie. »Erst wollen wir mit dem Chefredakteur sprechen!«
Der Redakteur seufzte. Dann erhob er sich. »Bitte wartenSie einen Moment. Der Chefredakteur ist momentan nicht verfügbar, aber ich kann den Ressortchef holen.«
»Ist er … hat er die Kompetenz, um uns …«, fragte Mele.
»Ja, er kann Ihnen ein Honorar für Ihre Information anbieten«, sagte Kleibert sichtlich genervt. Dann verließ er den Raum.
Kurz darauf kam er mit einem hochgewachsenen Mann zurück, der gut zehn Jahre jünger war. Er trug einen glatt gebügelten Anzug ohne Krawatte und ähnelte mit seinen gegelten Haaren eher einem Anwalt als einem Journalisten. Er stellte sich als Daniel Neumann vor, Leiter des Ressorts Internationale Politik.
»Darf ich dieses Dokument einmal sehen?«, fragte er.
Mele hielt den Zettel zurück. »Noch nicht.«
Neumann nickte. »Also schön. Wie viel wollen Sie?«
Jetzt war Paulus an der Reihe, das Gespräch weiterzuführen. »Zwei Stunden«, sagte er.
Neumann blickte ihn verdutzt an. »Wie bitte?«
»Wir möchten zwei Stunden Ihrer Zeit. Wir möchten, dass Sie uns zuhören.« Mele reichte Paulus den Zettel, der ihn vor den Augen der beiden Journalisten in kleine Schnipsel zerriss.
Neumann sprang auf, als wolle er Paulus
Weitere Kostenlose Bücher