Die Achtsamkeits-Revolution
gegeben, wenn uns unsere Wünsche von der mentalen Gesundheit weg- und zu psychischem Schmerz und Leid hinführen. Solche Unausgewo- genheiten finden sich in dreifacher Form: konatives Defizit, konative Hyperaktivität und konative Funktionsstörung.
Ein konatives Defizit liegt dann vor, wenn wir der Möglichkeit von größerem Glück und dessen Ursachen mit Apathie gegenüber stehen. Eine solche Apathie wird normalerweise von einem Mangel an Vorstellungsvermögen und einer Art Stagnation begleitet: Wir sind nicht imstande, uns vorzustellen, dass es uns besser gehen könnte, als es gegenwärtig der Fall ist, also versuchen wir erst gar nicht, etwas zu unternehmen. Das beraubt uns des Ansporns, zu mehr mentalem Wohlbefinden zu gelangen. Die konative Hyperaktivität ist dann gegeben, wenn obsessive Wünsche und Begierden die Realität der Gegenwart verschleiern. Phantasien von der Zukunft - heftige unerfüllte Wünsche - machen uns blind für das, was im Hier und Jetzt geschieht. Die konative Funktionsstörung bedeutet, dass wir Dinge begehren, die sich auf unser Wohlbefinden und das anderer zerstörerisch auswirken, und uns nicht nach Dingen sehnen, die zu unserem eigenen echten Glück und dem anderer führen. Ich schließe hier »andere« mit ein, weil wir die optimale mentale Ausgewogenheit nicht in der Absonderung von anderen kultivieren können. Wir existieren nicht unabhängig von anderen, also kann sich unser Wohlbefinden auch nicht unabhängig von anderen einstellen. Um als Einzelperson wachsen und gedeihen zu können, müssen wir das Wohl-Sein unserer Mitmenschen im Auge behalten. Wie der Buddha sagte: »Alle Gegenden habe ich durchwandert, fand aber nichts, was einem lieber wäre als das Selbst. So ist in jedem einzelnen Falle den anderen ihr Selbst [am Nächsten]; deshalb bereite man keinem anderen Qual aus Liebe zum eigenen Selbst.« 8
Der indische buddhistische Kontemplative Shantideva äußerte sich folgendermaßen über die konative Fehlfunktion: »Auch wenn wir den Wunsch haben, den Leiden zu entfliehen, eilen wir in Wirklichkeit auf Leiden zu. Zwar haben wir den Wunsch nach Glück, aber unsere Verwirrung zerstört das persönliche Wohl, als wäre es unser Feind.« 9 Im Buddhismus spricht man bei fehlgeleiteten Wün schen und Lüsten von Begierde oder Begehren , was hier meint, dass wir uns von etwas angezogen fühlen, dessen wünschenswerte Eigen schaften wir übertreiben, während wir irgendwelche anderen unerwünschten Eigenschaften ignorieren. Ist unser Begehren stark, dann meinen wir, dass unsere Möglichkeit, glücklich zu sein, dem Gegenstand innewohnt, auf den unser Geist so fixiert ist. Damit berauben wir uns unserer Macht und Kraft und übertragen sie auf das Objekt, von dem wir uns so angezogen fühlen. Wenn die Realität in unsere Phantasien einbricht, setzt die Desillusionierung ein. Das kann dann wiederum zu Feindseligkeit und Abneigung und zusätzlich dazu führen, dass wir jetzt auf das einst so begehrte Objekt negative Eigenschaften projizieren. 10
Zeit finden
Um wieder auf das zentrale Thema dieses Buches zurückzukommen, so besteht eines der größten Hindernisse für das Achtsamkeitstraining darin, dass wir keine Zeit dafür finden. Und der Grund, warum wir keine Zeit zum Meditieren finden, ist der, dass wir anderen Prioritäten so viel Zeit einräumen. Im Brennpunkt mancher dieser Prioritäten stehen unsere Grundbedürfnisse, aber viele von ihnen haben auch mit den Wünschen und Begierden im oben beschriebenen Sinn zu tun. Indem wir die Symbole begehren, die für das gute Leben stehen - Reichtum, flüchtige Vergnügen, Belobigung und Ansehen -, berauben wir uns möglicherweise der Realität eines guten Lebens. Wir verwenden nicht mehr Zeit auf das Ausbalancieren unseres Geistes, weil wir im Leben darauf setzen, dass wir unser angestrebtes Glück in der Jagd nach flüchtigen Vergnügen finden. Psychologen nennen das die hedonistische Tretmühle. 11 Der erste Schritt raus aus diesem unendlich erschöpfenden Trott besteht darin, dass wir nach einer Vision von echtem Glück streben, das sich aus unseren eigenen, weitgehend unangezapften inneren Ressourcen speist. So fangen wir an, zunächst uns selbst und dann auch all unseren Mitmenschen gegenüber Liebende Güte zu entwicklen.
LIEBENDE-GÜTE-MEDITATION
Nehmen Sie zunächst eine bequeme und entspannte Körperhaltung ein, sitzen Sie im Lotos- oder Schneidersitz oder setzen Sie sich auf einen Stuhl. Richten Sie Ihr Gewahrsein
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