Die Achtsamkeits-Revolution
Kontinuität des Praktizierens ist ein ganz entscheidender Faktor. Stellen Sie sich vor, dass Sie ein Feuer entzünden, indem Sie zwei Stöckchen aneinanderreihen. Wenn Sie die Stöckchen nur ein paar Augenblicke aneinanderreihen und sich dann ausruhen, sie dann wieder ein paar Augenblicke reiben und sich dann wieder ausruhen, können Sie jahrelang so weitermachen, ohne auch nur je einen Funken zu entzünden. Wenn Sie vorhaben, alle neun Stufen zu durchschreiten, ist der erprobte Weg der, dass Sie Ihr Leben radikal vereinfachen, sich zeitweilig in die Einsamkeit zurückziehen und sich über längere Zeiträume hinweg ganz und gar dieser Praxis widmen. Es ist nicht leicht, die Glückseligkeit von Shamatha zu erreichen, ohne sich aus stark bevölkerten Gegenden zurückzuziehen, die meist laut und überfüllt sind. Dagegen kann der Meditierende in einer einsamen Gegend, fernab von der Gesellschaft, seinen Geist leichter entspannen und die meditative Festigung erreichen.
EINE ACHTSAME LEBENSWEISE
In dieser Stadium der Praxis besteht die große Herausforderung darin, dass man eine Lebensweise annimmt, die die Entwicklung, Entfaltung und Pflege der Ausgewogenheit in der Achtsamkeit unterstützt, statt sie in der Zeit zwischen den Sitzungen zu untergraben. Will er Stufe drei meistern, wird der hingebungsvolle Meditierende diese Praxis als ernsthafte Beschäftigung ansehen und im Rahmen einer kontemplativen Lebensweise und in einer heiteren stillen Umgebung Tage oder Wochen auf diese Praxis verwenden müssen. Wenn wir nur eine oder zwei Sitzungen am Tag absolvieren und dabei ein aktives Leben führen, können wir zwar gelegentlich das Gefühl haben, dass wir die anhaltende Achtsamkeit der dritten Stufe erreicht haben, doch wird es uns schwerfallen, auf dieser Ebene gefestigt zu bleiben. Die Betriebsamkeit des Tages kommt dazwischen, der Geist zerstreut sich und die in der Meditation erlangte Kohärenz der Achtsamkeit wird sehr wahrscheinlich verloren gehen.
Die moderne Welt erinnert uns ständig daran, dass wir »soziale Wesen« sind, und liefert wenig Anreiz oder Ermutigung zu langen Aufenthalten in einsamer Abgeschiedenheit. Viele Menschen glauben sogar, dass ausgedehntes Meditieren in der Zurückgezogenheit unsozial ist oder aber ein Verhalten anzeigt, das man eher mit mental gestörten Leuten als mit Menschen in Verbindung bringt, die nach außergewöhnlicher mentaler Ausgeglichenheit streben. Viele assoziieren mit Einsamkeit und Abgeschiedenheit Langeweile, Vereinsamung, Angst und Depression. Da wundert es nicht, dass die Strafanstalten überall auf der Welt zur Bestrafung aufsässiger Gefangener die Isolationshaft einsetzen. Aber warum finden die Menschen das Alleinsein und Nichtstun so oft erschreckend? Wenn es keine Zerstreuungen und Ablenkungen gibt, stehen wir unserem eigenen Geist von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und wenn dieser sich ernstlich im Ungleichgewicht befindet, sind wir den Symptomen dieser mentalen Leiden ohne Pufferzone, ohne Ablenkung, ohne Fluchtmöglichkeit erbarmungslos ausgesetzt. Während der heutigen Allgemeinheit der Wert eines Aufenthalts in der Einsamkeit zumeist entgeht, gab es schon immer die Verfechter eines einfachen Lebens, um sich der stillen Kontemplation widmen zu können. Henry David Thoreau erklärte, warum er sich in die Abgeschiedenheit von Waiden Pond zurückzog: »Ich begab mich in die Wälder, weil ich bewusst leben, mich nur den wesentlichen Tatsachen des Lebens stellen und sehen wollte, ob ich nicht lernen konnte, was ich zu lehren hatte, und um nicht, wenn es ans Sterben ging, entdecken zu müssen, dass ich gar nicht gelebt hatte.« 22 Meditation in der Einsamkeit verursacht keine mentalen Störungen und Unausgewogenheiten, sondern deckt sie auf. Mag sein, dass Langeweile aufkommt, vor allem wenn sich der Geist der Laschheit ergibt, und Unrast entsteht oft im Gefolge von geistiger Aufgeregtheit. Mit Beharrlichkeit und Ausdauer können Sie diese Unausgewogenheiten überwinden und allmählich das Wohl-Sein entdecken, das dem ausgeglichenen Geist entspringt. Aber das erfordert den Mut, sich seinen inneren Dämonen zu stellen und die Praxis trotz der emotionalen Turbulenzen durchzuhalten, die im Verlauf dieses Trainings unvermeidlich aufkommen.
VORBEREITUNG AUF EINE EXPEDITION
Wenn ich Shamatha-Seminare leite, sehe ich sie gerne eher als »Expeditionen« und nicht so sehr als »Retreats« an. Das Wort »Re treat«, das sich vom
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