Die Achtsamkeits-Revolution
viele Dinge, deren wir nicht gewahr sind, haben einen machtvollen Einfluss auf unser Leben und auf die Welt insgesamt. Aber indem wir sie ignorieren, schließen wir sie nicht in unsere Realität ein. Wir registrieren sie nicht wirklich als überhaupt existent.
Wir wählen alle, durch unsere jeweilige Art mit den Dingen umzugehen und auf sie zu achten, das Universum, das wir bewohnen, und die Menschen, denen wir begegnen. Aber für die meisten von uns ist es eine unbewusste und somit eigentlich überhaupt keine »Wahl«. Wenn wir darüber nachdenken, wer wir sind, können wir uns unmöglich an alle Dinge, die wir erlebt und erfahren, an alle Verhaltensweisen und Qualitäten, die wir an den Tag gelegt haben, erinnern. Was uns bei der Frage »Wer bin ich?« in den Sinn kommt, besteht aus jenen Dingen, denen unsere Aufmerksamkeit über Jahre hinweg galt. Das Gleiche gilt für unsere Eindrücke von anderen Menschen. Was für uns als Realität in Erscheinung tritt, ist nicht so sehr das, was sich da draußen befindet, als vielmehr jene Aspekte der Welt, auf die wir uns konzentriert haben.
Aufmerksamkeit ist immer höchst selektiv. Wenn Sie sich selbst als materialistisch gesinnter Mensch ansehen, werden Sie vermutlich vor allem auf physische Objekte und Ereignisse achten. Alles Nichtphysische kommt Ihnen insofern »immateriell« vor, als es nicht wirklich oder vielleicht allenfalls als Nebenprodukt von Materie und Energie existiert. Aber wenn Sie sich selbst als spirituell oder religiös eingestellt betrachten, werden Sie sich sehr wahrscheinlich den weniger greifbaren Dingen zugewandt haben. Gott, die Seele, Errettung und Erlösung, Bewusstsein, Liebe, freier Wille und eine rein spirituelle Ursache aller Dinge wird Ihnen unter Umständen als etwas sehr viel Realeres und Wirklicheres vorkommen als Elementarteilchen und Energiefelder. Ich vertrete folgend Theorie: Wenn Sie imstande wären, Ihr Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Achtsamkeitsvermögen nach Belieben zu for k u ssieren, dann könnten Sie tatsächlich das Universum wählen, das Sie dem Anschein nach bewohnen.
Die Aufmerksamkeitsfähigkeit nimmt auch tiefreichenden Ein- fluss auf Charakter und ethisches Verhalten. William James empfand die Fähigkeit, einen umherschweifenden Geist ganz bewusst immer und immer wieder zu Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zurückzulenken, als die Wurzel von Urteilsvermögen, Charakter und Willensstärke. Christliche Kontemplative wissen schon seit Jahrhunderten, dass ein wandernder Geist leicht der Versuchung und damit der Sünde anheimfällt. Und Buddhisten erkannten, dass ein zum Abschweifen und zur Zerstreuung neigender Geist sich leicht einer Unzahl von Kleshas (»Geistesplagen«) oder Leid verursachenden Emotionen und negativen Geistesregungen unterwirft, was zu allen möglichen schädlichen Verhaltensweisen führt. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit von den negativen Versuchungen wegdirigieren können, haben wir gute Chancen, sie zu überwinden.
William James bestätigte auch, dass Genies aller Art eine überragende Fähigkeit zu anhaltender, vorsätzlich gerichteter Konzentration und Achtsamkeit haben. Denken Sie nur an die größten Musiker, Mathematiker, Wissenschaftler und Philosophen der Geschichte - sie alle, so scheint es, verfügten in außergewöhnlichem Maße über die Fähigkeit, ihre Aufmerksamkeit mit hoher Klarheit und über lange Zeit hinweg zu fokussieren. Ein Geist, der sich in einem solchem Zustand wacher Ausbalanciertheit befindet, bildet einen fruchtbaren Boden für das Aufkommen aller möglichen Arten von originären Assoziationen und Einsichten. Könnte das »Geniehafte« ein Potenzial sein, dessen wir alle teilhaftig sind - haben wir alle unsere ganz eigene Fähigkeit zur Kreativität, die nur der Kraft anhaltender Aufmerksamkeit und Achtsamkeit bedarf, um sie aufzuschließen? Ein fokusierter Geist kann helfen, den kreativen Funken an die Bewusstseinsoberfläche zu bringen. Dagegen könnte ein ständig mit einer Zerstreuung nach der anderen beschäftigter Geist für immer von seinem kreativen Potenzial abgeschnitten werden. Klar ist, dass unser Leben eine dramatische Verbesserung erfahren würde, wenn wir unsere Aufmerksamkeitsund Achtsamkeitsfähigkeit schulten und steigerten.
DIE PLASTIZITÄT DER AUFMERKSAMKEITSFÄHIGKEIT
Zwar wurden im vergangenen Jahrhundert zahllose Forschungsstudien zu verschiedenen Aspekten der Aufmerksamkeitsfähigkeit durchgeführt, dennoch ist über den Aspekt ihrer
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