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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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werden musste. Die Treppe hinauf oder zur Tür hinaus. So sah ein Mann aus, wenn er sich nicht mehr wie ein menschliches Wesen bewegte, sondern wie eine Art Roboter.
    Bedingungsloser Gehorsam.
    Befehle, die ohne einen weiteren Gedanken ausgeführt wurden. Das war es, was sie wollten. Fest geschlossene Reihen.
    Meine Ankunft wurde auf einer ordentlichen Liste vermerkt, die auf dem spiegelblank polierten Schreibtisch lag. Ich war ein wenig zu früh. Also wartete ich. Der Roboter hinter dem Schalter wusste nicht, was er mit jemandem anfangen sollte, der zu früh dran war. Neben dem Aufzugkäfig stand eine freie Holzbank. Normalerweise saß dort ein Wachposten, erfuhr ich, doch bis zum verabredeten Termin durfte ich mich dort hinsetzen.
    Einige Minuten verstrichen. Ich rauchte eine Zigarette. Um Punkt zehn Uhr hob der Roboter den Telefonhörer von der Gabel, wählte eine Nummer und kündete mein Eintreffen an. Ich wurde in den Aufzug befohlen und hinauf in den vierten Stock, wo mich wahrscheinlich ein weiterer Roboter in Empfang nehmen würde. Ich betrat den Aufzug. Der Roboter, der den Aufzug bediente, hatte den Befehl entgegengenommen und war jetzt vorübergehend derjenige, der mir sagte, wo es langging.
    Im vierten Stock warteten schon Leute, die den Aufzug nach unten nehmen wollten. Ein Mann wurde von zwei weiteren Robotern an den Armen gehalten. Er war gefesselt und halb bewusstlos, und aus seiner Nase strömte Blut und tropfte auf seine Kleidung. Niemand sah beschämt oder verlegen aus, weil ich das alles mit ansah. So hätte man möglicherweise - nur möglicherweise - zugegeben, dass man etwas falsch machte. Und weil das, was dem gefesselten Mann widerfahren ist, im Namen des Führers geschah, konnte es ja nicht falsch sein. Der blutende Mann wurde in den Aufzug gezerrt, und der dritte Roboter, der hinter den anderen zurückgeblieben war, nahm mich nun in Empfang und führte mich durch einen breiten Korridor zu meinem Termin. Vor einer Tür mit der Nummer dreiundvierzig blieb er stehen, klopfte an und öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich trat ein, und er schloss hinter mir gleich wieder die Tür, ohne selbst einzutreten.
    Der Raum war möbliert, doch leer. Das Fenster stand weit offen, doch in der Luft hing ein Geruch, der nahelegte, dass der Mann mit der blutenden Nase wohl in diesem Zimmer verhört worden war. Als ich ein paar Blutflecken auf dem braunen Linoleum entdeckte, wusste ich, dass meine Annahme richtig war. Ich ging zum Fenster und sah hinaus auf die Ludwigstraße. Mein Hotel lag gleich um die Ecke, und obwohl es draußen neblig war, konnte ich das Dach von hier aus sehen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Würzburger Gestapo-Hauptquartiers befand sich die örtliche Parteizentrale der Nazis. Durch ein Fenster im oberen Stockwerk sah ich einen Mann, der die Füße auf dem Schreibtisch liegen hatte. Was sollte dort im Namen der Partei auch noch groß unternommen werden, wenn die Dinge offenbar hier schon erledigt wurden?
    Eine Glocke läutete. Das Geräusch hallte von der Kathedrale her über die roten Dächer, nahm ich an, doch es klang wie eine Schiffsglocke, die andere Schiffe vor Untiefen und Felsen im Nebel warnte. Ich musste an Noreen denken, die irgendwo draußen auf dem Nordatlantik am Heck der ss Manhattan stand und durch den dichten Nebel zu mir starrte.
    Hinter mir öffnete sich die Tür, und ein starker Geruch nach Seife wehte in das Zimmer. Ich drehte mich um und sah einen kleinen Mann, der die Tür hinter sich schloss und die Hemdsärmel herunterrollte. Ich schätzte, er hatte sich soeben die Hände gewaschen. Er sagte kein Wort, bis er seine schwarze SS-Uniformjacke von einem Kleiderbügel im Schrank geholt und angezogen hatte - die Uniform sollte wohl die fehlenden Zentimeter kompensieren.
    «Sie sind Gunther?», fragte er schließlich mit fränkisch-rustikaler Stimme.
    «Das ist richtig. Und Sie müssen Hauptmann Weinberger sein.»
    Er knöpfte weiter seine Uniformjacke zu, ohne sich zu einer Antwort herabzulassen. Dann deutete er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. «Nehmen Sie doch Platz.»
    «Nein danke», sagte ich und setzte mich auf das Fenstersims. «Ich bin ein wenig wählerisch, wo ich mich niederlasse. Wie eine Katze.»
    «Was wollen Sie damit sagen?»
    «Auf dem Boden unter diesem Stuhl ist Blut, und es wäre möglich, dass auf dem Stuhl auch welches ist. Ich verdiene nicht genug Geld, um das Risiko einzugehen, einen guten Anzug zu

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