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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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bestimmt. Wer hat Ihnen erzählt, dass das Erich Seelig sein soll?» «Der Türke.»
    «Solly Mayer? Das erklärt alles. Der Türke ist auf einem Auge blind. Netzhautablösung. Geben Sie ihm ein Schachspiel, und er kann die schwarzen nicht von den weißen Figuren unterscheiden. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Türke ist schwer in Ordnung. Aber er kann nicht mehr gut sehen, das ist alles.»
    Das Lokal wurde allmählich voller. Trollmann winkte einem Mädchen auf der anderen Seite der Bar zu; aus irgendeinem Grund trug sie kleine Silberpapierfetzen in den Haaren. Alle möglichen Leute grüßten Trollmann freundlich - trotz der Bemühungen der Nazis, ihm seine Würde zu nehmen, blieb er ein beliebter Mann. Selbst der Papagei auf unserem Tisch ließ sich von ihm über das Federkleid streichen, ohne ihm in den Finger zu hacken.
    Trollmann warf erneut einen Blick auf das Foto und nickte. «Ich kenne diesen Kerl. Er ist ganz sicher nicht Seelig. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass er ein Boxer war?»
    Ich erzählte ihm von den verheilten Frakturen an den Knöcheln der kleinen Finger und der Verbrennung auf der Brust, und er nickte weise.
    «Sie sind ein gescheiter Mann, Herr Gunther. Und Sie haben völlig recht. Dieser Mann war ein Boxer mit Namen Isaac Deutsch. Allerdings war er ein jüdischer Boxer - Sie haben auch damit recht.»
    «Hören Sie auf damit», sagte Mrs. Charalambides. «Sonst wird er noch eingebildeter, als er ohnehin schon ist.» Doch sie hatte ihren Notizblock hervorgeholt und stenographierte fleißig mit. Der Stift flog über das Papier, als flüsterte jemand etwas.
    Trollmann grinste kurz und redete weiter. «Zak war im gleichen Arbeiter-Sportclub wie ich. Im Sparta, daheim in Hannover. Armer alter Zak. Irgendwo zu Hause hab ich eine Fotografie von allen Boxern aus dem Sparta-Studio. Von denen, die Kämpfe ausgetragen haben, meine ich. Zak steht direkt vor mir. Der arme Kerl. Er war ein netter Bursche und ein ziemlich guter Boxer mit einem großen Herzen. Wir haben nie gegeneinander gekämpft. Ich hätte nicht gerne gegen ihn geboxt. Nicht, weil ich Angst vor ihm gehabt hätte, verstehen Sie das nicht falsch, auch wenn er ein harter Schläger war. Sondern weil er ein richtig netter Kerl war. Sein Onkel Joey hat ihn trainiert, und er war ein Kandidat für die olympische Auswahl, bevor er aus dem Verband und aus dem Sparta geworfen wurde.» Er seufzte und schüttelte erneut den Kopf. «Der arme alte Zak ist also tot. Das ist sehr traurig.»
    «Er war kein Profiboxer?», fragte ich.
    «Was gibt es da für einen Unterschied?», fragte Mrs. Charalambides.
    Ich stöhnte auf, doch Trollmann erklärte es ihr geduldig, als spräche er zu einem neugierigen Kind. Er hatte ein gutmütiges, freundliches Wesen. Hätte ich ihn nicht mit eigenen Augen kämpfen sehen, es wäre mir schwergefallen zu glauben, dass er jemals ein Profiboxer gewesen war.
    «Zak wollte unbedingt eine Medaille, bevor er ins Profilager ging», erklärte Trollmann. «Wahrscheinlich hätte er sogar eine gewonnen, wenn er nicht jüdisch gewesen wäre. Eine sehr ironische Geschichte, schätze ich. Wenn das bedeutet, was ich glaube, das es bedeutet.»
    «Was glauben Sie denn, was es bedeutet?», fragte Mrs. Charalambides.
    «Dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was ein Mann sich wünscht, und dem, was dann tatsächlich passiert.»
    «Das ist in diesem Fall wohl mehr oder weniger richtig», sagte sie.
    «Beispielsweise durfte Zak Deutsch nicht mehr für Deutschland boxen, weil er ein Jude war. Aber dann ist er als Bauarbeiter am Pichelsberg gelandet, um beim Bau des Olympiastadions mitzuhelfen. Obwohl er eigentlich nicht dort arbeiten sollte. Weil nur arische Bauarbeiter auf der olympischen Baustelle arbeiten dürfen. Jedenfalls habe ich das gehört. Das habe ich auch mit gemeint, verstehen Sie? Weil jede Menge Juden am Pichelsberg arbeiten. Ich hätte selbst dort angefangen, wenn ich nicht diese Arbeit hier angeboten bekommen hätte. Der Druck, das Stadion rechtzeitig fertigzustellen, ist extrem hoch, und die Nazis können es sich einfach nicht leisten, einen fleißigen Arbeiter wegzuschicken, sei er nun Jude oder Goi. Das habe ich jedenfalls gehört», schloss Trollmann.
    «Jetzt sehe ich langsam etwas klarer», sagte ich.
    «Sie haben eine merkwürdige Vorstellung von klar, Herr Gunther.» Trollmann grinste sein breites Grinsen und zeigte seine Zahnlücken. «Ich denke eher, das ist alles völlig

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