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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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konnte ihren Blutkreislauf im Nu in einen reißenden Fluss und sie selbst in eine Furie verwandeln.
    Womit sie aber plötzlich vor allem zu kämpfen hatte, war das Gefühl einer grundlegenden Verunsicherung. Denn immer häufiger kam sie sich vor wie jemand, den man auf einer von der Zivilisation unberührten Insel ausgesetzt hatte, umzingelt von wilden, bösartigen Kreaturen.
    Entschlossen ließ sie das Glas, das sie in der Hand hielt, wieder in den knisternden Schaumberg sinken, streifte die Spülhandschuhe ab und lief zum Telefon. Ungeduldig wählte sie Ulrikes Nummer und presste erwartungsvoll das gebogene Stück Hartplastik ans Ohr.
    »Taubitz?«, sagte Ulrike gespannt und malte mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand ein großes R in die hauchdünne Staubschicht auf der Platte des Kirschholzschränkchens, auf dem die Telefonanlage stand.
    »Gott sei Dank bist du da!«, sagte Johanna und atmete erleichtert aus, so dass auf der anderen Seite, achtzig unterirdisch verlaufende Telefonkabelkilometer weiter nördlich, ein kurzes trockenes Brausen an Ulrikes Ohr drang.
    »Ist was passiert?«, sagte Ulrike unwirsch, wischte mit der ganzen Hand über die glatte Holzplatte, und das R war wieder verschwunden.
    »Ach, ich weiß nicht«, begann Johanna umständlich, »mir ist heute irgendwie so komisch. Sicher ist das Wetter schuld.«
    Sie blickte ärgerlich hinaus in den sonnigen Garten. Vogelstimmendrangen zum geöffneten Fenster herein, offenbar war das Taubstummenprogramm zu Ende.
    »Hast du deine Tabletten genommen?«, fragte Ulrike gelangweilt und wartete gefasst auf eine von Johannas üblichen Litaneien.
    Einmal hatte Johanna aus Versehen statt der ihr verordneten dreißig Milligramm ihres blutdrucksenkenden Mittels eine Dreitagesration auf einmal geschluckt (versunken wie eine Neunjährige, die sich genussvoll ein Smartie nach dem anderen in den Mund steckt, hatte sie immer neue der gleich aussehenden Pillen eingenommen) und war bald darauf in eine beängstigende, mehr als zwölf Stunden andauernde Apathie verfallen.
    Ein anderes Mal hatte sie, weil sie ihre Brille nicht fand, ihr Blutdruckmittel mit Janeks Cholesterintabletten verwechselt (beide Präparateschachteln waren mit rot-weißen Emblemen versehen), ihren Irrtum aber in letzter Minute bemerkt.
    »Aber ja!«, sagte Johanna und platzte mit dem heraus, was seit Tagen tatsächlich auf ihrer Seele lag. »Ich mache mir solche Sorgen um ihn!«
    »Um wen?«, sagte Ulrike.
    »Um Janek natürlich, um wen denn sonst?«
    »Was ist denn mit ihm?«, fragte Ulrike phrasenhaft, denn es interessierte sie herzlich wenig, was mit Janek war. Sie hatte weiß Gott andere Sorgen. Rainer hatte noch nicht zurückgefunden. Und mit jeder Stunde, die verstrich, ohne dass dies geschah, wurde Ulrikes Stimmung düsterer und ihre Entschlossenheit, ihm seinen Fehltritt heimzuzahlen, größer.
    »Er ist seit Tagen nicht nach Hause gekommen, vielleicht ist ihm etwas zugestoßen. Meinst du, ich sollte zur Polizei gehen?«
    »Polizei? Mach dich nicht lächerlich, Mutter!«, antworteteUlrike. »Du weißt doch, wie er ist. Der hat noch nie Rücksicht auf die Gefühle anderer genommen! Um den musst du wahrlich nicht bangen. Unkraut vergeht nicht!«
    »Aber wieso meldet er sich nicht, er könnte doch wenigstens anrufen«, widersprach Johanna zunächst zaghaft, begann aber, sich über die unverhohlene Schnippischkeit ihrer Tochter zu ärgern, und sagte: »Wieso sprichst du eigentlich so über ihn? Immerhin ist er so etwas wie ein Vater für dich gewesen!«
    »Janek?«, rief Ulrike empört und kam nun ihrerseits in Fahrt. »Ich höre wohl nicht richtig? Langsam habe ich, mit Verlaub gesagt, Mutter, den Eindruck, dass du ein wenig die Orientierung verlierst!«
    »Wie redest du denn mit mir, Ulrike!«, kläffte Johanna nach einem kurzen Augenblick der Verwunderung und setzte sogleich stichelnd hinterher: »Kein Wunder, dass Rainer so selten zu Hause ist! Welcher Mann möchte schon mit einer Frau zusammen sein, die so mit ihrer Mutter spricht!«
    »Also jetzt reicht’s aber!«, rief Ulrike und spürte, wie der Ärger ihr das Blut ins Gesicht trieb. »Kümmere dich gefälligst um deine eigenen Sachen und verschone mich um Himmels willen mit deinem unüberlegten Gerede! Du weißt genau, dass Rainer ein vielbeschäftigter Geschäftsmann ist und deswegen häufiger unterwegs ist als andere Männer. Und was dich betrifft, Mutter, so möchte ich dich bitten, es in Zukunft zu unterlassen, Dinge zu kommentieren,

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