Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
Zunächst einmal die Wände. Vorher waren sie ganz normal gewesen, senkrecht eben. Aber jetzt neigten sie sich zur Mitte hin, als hätte das ganze Haus beschlossen, nach oben hin schmaler zu werden.
Ralph sah sich die neuen Abmessungen seines Zimmers an. Die Decke war eingedrückt wie ein Teigmantel. Die Fenster mit den Vorhängen waren verzerrt und schmaler als zuvor, aber nicht geborsten. Die Bücherregale und sogar – was Ralph den Atem verschlug – die Bücher, die darauf standen, wurden nach oben hin deutlich schmaler. Er nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne und schlug einen zerlesenen Forster-Band auf. Trapezförmige Seiten. Sogar der Staub, den Ralph wegblies, schien oben auf dem Buch feiner zu sein als auf dem unteren, breiteren Teil des Einbands.
Das alles war natürlich mehr als befremdlich. Aber in Panik versetzte das Ralph nicht. In den letzten Wochen hatte sein Leben eine so seltsame fantastische Wendung genommen, dass die jüngsten Ereignisse eigentlich nur ein weiterer logischer Schritt waren. Wenn das jetzt der Beginn eines echten Abenteuers ist , dachte er, sollte ich vorher noch schnell das verschwitzte T-Shirt wechseln . Er zog seine weißeste Unterwäsche an, eine frische Hose und ein ordentliches Hemd und versuchte sogar, sich die Zähne zu putzen, bis er merkte, dass es kein Wasser mehr gab (im Badezimmer hatte der Wasserhahn im Zuge der Veränderungen seine Nase vorwitzig nach oben gedreht). Schließlich griff Ralph noch zum Deo. So gerüstet, wollte er schließlich die Eingangstür öffnen.
Unmöglich. Und nicht nur das: Sie rührte sich nicht einen Millimeter, was verschlossene Türen sonst eigentlich tun. Wütend und wie vor den Kopf geschlagen starrte Ralph auf die Klinke. Wie sollte er das Torhaus verlassen, wenn nicht durch den Ausgang? Es gab noch den Kamin. Im Schein der Taschenlampe sah Ralph, dass auch der Kamin oben nur noch eine Handbreit geöffnet war, und dahinter war von Tageslicht nichts zu sehen. Blieben also die Fenster. Ralph schob einen Vorhang zur Seite.
Holz.
Knorrig und uneben, als wäre der Baum in den Fensterrahmen hineingeschmolzen und darin erstarrt. Ralph versuchte, das Fenster zu öffnen. Aber die verzogenen Scheiben sprangen heraus und zerschellten am Boden. Vorsichtig berührte Ralph das Holz vor dem Fenster. Es war feucht wie das Ende eines frisch abgebrochenen Astes. Ralph wich vom Fenster zurück, kauerte sich vor einer fensterlosen Wand auf den Boden, zog die Knie an die Brust und ließ den Strahl seiner Lampe durch die dunklen Ecken huschen.
Nach einer Weile kam er immerhin auf die Idee, zum Handy zu greifen. Natürlich gab es im Inneren eines Baums keinen Empfang. Trotzdem schrieb er eine SMS und speicherte sie, sodass sie, sobald eine Verbindung zustande käme, automatisch abgeschickt werden würde (das Makro dafür hatte er selbst geschrieben).
BEAT/DAPH: SOS SOS BIN IM BAUM VERFOLGE CECIL UND CHESS. HELFT MIR. RALPH
Er versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen, aber das war leichter gesagt als getan. Hatte er Chessie und Cecil nicht im Torhaus verschwinden sehen? Wenn sie nicht mehr hier waren, musste es doch einen Weg nach draußen geben.
Das Badezimmer hatte Ralph noch nicht untersucht. Er ging mit seiner Taschenlampe hinein, und als er das Rollo hochgezogen und mit einiger Mühe das kleine Fenster aufbekommen hatte, entdeckte er dahinter tatsächlich eine Öffnung im Holz. Es sah aus, als wäre ein Ast auf links gedreht; ein langer, mit Rinde ausgekleideter Hohlraum lag vor Ralph. Ganz hinten, am äußersten Ende war wie beim Blick durch ein Teleskop ein kleines Fleckchen Sternenhimmel zu sehen.
Ralph stieg auf den Toilettendeckel und verglich die Breite der Öffnung mit der seiner Schultern. Es war knapp, aber er würde hindurchpassen. Nachdem er ins Zimmer zurückgelaufen war und noch schnell seinen Kuschelstein Jeremiah unter der Matratze hervorgeholt hatte, steckte er den Kopf in den schmalen Tunnel, bekam Platzangst und beschloss, mit den Füßen voran zu kriechen.
Wie sich herausstellte, war es leichter als gedacht: Der Baum half ihm durch den Schlauch, indem er sich immer wieder zusammenzog und entspannte. Nach einer Weile konnte Ralph vom Torhaus nichts mehr sehen. Ein Lüftchen, das seine Füße umwehte, gab ihm aber neuen Mut. Bald hatte er das Ende des Schlauchs erreicht und rutschte ins Freie.
14. Kapitel
Nach einer Schrecksekunde im freien Fall landete Ralph – allerdings nicht wie erwartet auf dem Boden, sondern
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