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Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Titel: Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. Archer
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an. Als er sich endlich beruhigt hatte und wieder klar denken konnte, kam er zu dem Schluss, dass es nur noch einen Bereich gab, wo er sein Glück versuchen konnte.
    Die Falltür, die zum Dach führte, ließ sich knarrend öffnen und mündete in einen schmalen Durchgang. Und was sah Ralph da? Unmittelbar vor den Zinnen standen Chessie und Cecil.
    Der eisige Wind trieb Ralph Tränen in die Augen. Er konnte Chessie kaum erkennen. Aber sie trug ein Feen-Outfit mit allem Drum und Dran, das Haar toupiert und kunstvoll frisiert, das Oberteil vorn mit bunten Stoffbändern festgeschnürt. In der Hand hielt sie einen Stab aus gebürstetem Edelstahl, der möglicherweise aus einem exklusiven Laden für Küchenzubehör stammte. Cecil hatte ein halbes Dutzend T-Shirts übergezogen: Man sah es an dem Wulst übereinanderliegender Bündchen. Sein Hals hatte auffallende Ähnlichkeit mit dem eines Truthahns. Chessie hatte gerade etwas gesagt, worauf Cecil »Ja, ja, okay« antwortete. Ralph spitzte die Ohren.
    »… ist schon bereit«, fuhr Chessie fort, »aber ich muss es einmal in aller Form hören, sonst kann der Zauber nicht wirken.«
    »Okay. Ich wünsche mir, den kleinen Leuten helfen zu können.«
    »Was für ein bezaubernd proletarischer Wunsch! Gut. So gewähre ich dir nun feierlich und in Übereinstimmung mit der alten Tradition hochherrschaftlichen Wunschgewährens diesen deinen Wunsch in der Hoffnung, dass du deine tiefsten Sehnsüchte stillen und somit zur Selbsterkenntnis gelangen mögest.«
    »Wow! Dann geht’s jetzt los?«
    Chessie rieb sich den Ellbogen und blinzelte. »Ja, ich denke, jetzt müsste alles so weit sein.«
    »Gibt es ein Codewort, mit dem ich wieder rauskomme, falls ich mal in der Klemme bin?«
    »Hm, nein.«
    »Und der Wunsch ist zu Ende, wenn die Sache erledigt ist?«
    »Wenn du, genau wie du es gesagt hast, den kleinen Leuten geholfen hast, ja.«
    »Wer entscheidet denn, ob ich mit dem Helfen fertig bin?«
    »Ein bisschen geheimnisvoll sollte das Ganze schon bleiben, Schätzchen. Ich kann dir nicht alles verraten.«
    Cecil rieb mit den Handflächen über seine Oberschenkel. »Dann geht’s jetzt los?«
    »Ja, jetzt geht’s los.«
    »Kann ich …« Aber weiter kam Cecil nicht. Denn Chessie packte ihn kurzerhand an der Taille, hob ihn hoch und warf ihn über die Zinnen. Er hatte nicht mal mehr Zeit zu schreien. Sie sah ihm nach, wie er ins Leere stürzte, und schickte ein fröhliches »Hals- und Beinbruch!« hinterher.
    Ralph dachte keinen Augenblick nach. Er rannte einfach los. Wir, die die nötige Distanz haben, merken gleich, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. Schließlich war dieses riskante Abenteuer in gewisser Weise seine Schuld. Wir wissen aber auch, wie sehr er sein früheres, prosaisches Leben gehasst hatte, in dem kein Platz für Wunder gewesen war. Beide Gefühle vermischten sich in Ralphs Hirn und führten dazu, dass er wie ein Irrer auf die Schlosszinnen zulief.
    Es gibt drei Arten von schockiertem Schweigen: einmal das Schweigen, wenn ein Onkel beim Thanksgiving-Dinner über seine Exfreundinnen lästert. Dann das Schweigen, wenn man etwas angeblich Unglaubliches gezeigt bekommt und überrascht tut. Schließlich das Schweigen, wenn man etwas wirklich Neues, Unbekanntes erlebt. Auf diese letzte Weise verschlug es Ralph die Sprache, als er einen ersten Blick zwischen den Zinnen hindurch nach unten erhaschte.
    Da war keine endlose blaue Weite, sondern die perfekte Simulation einer Wiese im Sonnenlicht – irgendwie und von wem auch immer nur wenige Meter unterhalb des Himmelsschlosses erschaffen.
    Als Chessie Ralph sah, verzerrte sich ihr Gesicht – oder war es einfach nur das erste Mal, dass sie sich unverstellt zeigte? Aber dann hatte sie sich wieder im Griff. Mit einem Knurren stürzte sie sich auf ihn. Ralph zögerte nicht lange, als er die zehn roten, blitzenden Nagellackkleckse auf sich zu schießen sah: Er rettete sich mit einem Sprung über die Zinnen … und landete unsanft in einem Gebüsch.
    Als das Schwindelgefühl nachließ und er seine Glieder sortiert hatte, begriff er langsam, wo er war. Er befand sich in einem Brombeerstrauch inmitten einer weiten Grünfläche, so makellos und perfekt, dass alles um ihn herum fast wie ein zweidimensionales Bild wirkte: Der Himmel wölbte sich in gleichmäßigem, strahlendem Blau, die Hügel wellten sich sanft und grün, melodisch sangen die Vögel. Das heftige Rauschen des Windes hatte aufgehört. So war das also, wenn man

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