Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
begann sie wieder bitterlich zu weinen. Ihre Tränen fielen in den Schnee und versanken darin.
34. Kapitel
Ralph hatte zwar nur einen flüchtigen Eindruck gewonnen, aber Daphnes Geschichte kam ihm extrem kitschig vor. Katastrophal kitschig. Bedrohlich kitschig. Wie in so manchem Science-Fiction- oder Horror-Film: fröhliche Musik, bevor’s gruselig wird. Er wusste, dass Daphne in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Aber um ihr zu helfen, musste er erst Cecil finden. Dafür müsste er natürlich zuerst einmal fliehen. Nur wusste er beim besten Willen nicht, wie. Immerhin lag er mit gelähmten Beinen in diesem Zimmerchen. Würde eine solche Situation in einem von ihm entwickelten Computerspiel eintreten, gäbe es jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder würde ihn ein kleines Wesen in die Lage versetzen, sich zu befreien (die Fliege hätte dieser Wohltäter sein können; aber die war ja leider immer noch tot), oder er würde sich mithilfe einer Tastenkombination befreien (aber wie – ohne Game-Controller?).
Ralph war sich sicher, dass Daphne noch viele wundervolle Dinge erleben würde, mit anderen Worten eine richtig gute Geschichte. Doch es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Denn er saß in der Falle und würde ›innerhalb von vierzehn Tagen‹ dran glauben müssen … Wie gern hätte er jetzt seine Eltern angerufen, die er plötzlich sehr vermisste.
»Verzeihung da oben«, rief Ralph in meine Richtung. Schließlich war ich immer noch der erste Erzähler und hockte nach wie vor oben in den Laufplanken. »Könnten Sie Daphnes Wunsch vielleicht ein bisschen beschleunigen? Ich habe keine Zeit für schmalziges Drumrumgerede!«
Kommt gar nicht infrage!
»Immerhin sterbe ich hier!« Ralphs Stimme stockte. »Bitte! Ich kann diesen süßlichen Quatsch einfach nicht ertragen!«
Von einer Figur in einer Geschichte oder einem Charakter in einem Rollenspiel nehme ich grundsätzlich keine Befehle entgegen.
»Dann höre ich eben nicht mehr auf meinen Erzähler!«
Gut. Dann nehmen wir diesen Erzähler für ein Weilchen raus, mal schauen, wie Ralph sich dann anstellt!
Plötzlich erlosch das Bild im Zauberspiegel. Ralph fuhr zusammen, als Regina die Tür aufriss und mit Cecil im Schlepptau hereinplatzte. Ihre Augen glitzerten durchtrieben böse, und ihr Blick verhieß Mord und Totschlag.
35. Kapitel
Keuchend schleifte Regina Cecil über die Zimmerschwelle. Ralph merkte sofort, dass mit seinem Cousin etwas nicht stimmte. Seine Haut war bläulich grau, die Gesichtszüge hoben sich in sattem Violett davon ab, das Haar war dicht und glänzend wie die Haare einer Halloween-Maske. Er war eindeutig tot.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, stammelte Ralph angriffslustig, eine Haltung, die gerade ihm besonders schwerfiel. Er bekam Schluckauf vor Aufregung.
Als Regina auf ihn zukam, sah er, dass sie eine schwere Steinaxt in der Faust hielt. Er verkroch sich noch tiefer unter seine Decke.
»Ich habe einen neuen Bettgenossen für dich«, zischte Regina.
»Hör zu, Chessie, ich finde, es reicht jetzt! Daphne ist erst sieben Jahre alt. Sie ist total verängstigt und allein. Ich weiß, dass du dabei bist, mich zu vergiften, und ich weiß, dass du Cecil schon umgebracht hast. Wie kannst du glauben, dass du damit durchkommst?« Ralph sprang erregt auf und stand jetzt, das Laken umklammernd, auf der Matratze.
»Alles Lügen«, sagte Regina gelangweilt und streichelte den hölzernen Griff der Axt.
»Was hast du eigentlich davon?«
Regina begutachtete das stumpfe Ende ihres schweren Werkzeugs. »Cecil ist nicht tot. Aber er ist sehr krank. Ich habe keine Zeit mehr, zwischen ihm und dir hin- und herzupendeln. Du wirst ihm also in deinem Quartier ein bisschen Platz machen müssen. Was deinen Vorwurf betrifft, ich würde dich vergiften: Du magst dich vielleicht ein bisschen schlapp fühlen. Aber es dient nur dazu, dass du hierbleibst, anstatt herumzulaufen und alles zu verderben.«
»Du willst mich hier für immer festhalten?«
»Sie will dich ja unbedingt retten. Bei ihrer Quest geht es um dich. Also bleib bloß, wo du bist!«
Regina hievte Cecil auf die andere Seite von Ralphs Doppelbett, deckte ihn zu und ging wortlos aus dem Zimmer.
Ralph starrte seinen neuen Schlafgenossen an, der wie tot dalag. Als er zögernd Cecils Hals befühlte, merkte er jedoch, dass die Haut nicht ganz kalt war und Cecil alle paar Sekunden einen flachen Atemzug tat. Die Luft, die er ausatmete, roch nach Backpulver und Datteln.
Die Scones. Er war mit
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