Die Ahnen der Sterne: Roman (German Edition)

Vorkommnissen verließen sie Kadyni, das Gebirgsstädtchen, in dem sie zunächst gelandet waren, und wandten sich zum Gebirge. Dort begegneten sie einer Bande maskierter Reiter, die kein Wort sagten, sondern sie sogleich angriffen. Nachdem Julia mit Harry weggeflogen war, was sie ziemlich erschöpfte, erklärte ihr Begleiter, es habe sich vermutlich um einen vorprogrammierten Haufen von Kampfwichten gehandelt, doch Julia wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckte.
    »Was wissen Sie über Nicodemus?«, fragte sie.
    »Nur wenig – angeblich ist er der größte lebende Netzmaulwurf alias Dittrich alias Dosenöffner alias Obskuriel.« Harry lachte. »Maulwürfe haben eine Vorliebe für Aliasse. Also, wenn uns jemand helfen kann, den Farag-Bericht Ihren Sino-Freunden zu übermitteln, dann er.«
    »Angenommen, er kommt uns suchen«, sagte Julia mit Blick auf den Abendhimmel. »Und jetzt wird es dunkel … was ist los?«
    Harry spähte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Unsere berittenen Freunde haben uns anscheinend eingeholt …« Er stockte, als sie das Geräusch ledriger Schwingen vernahmen.
    Julia hob den Kopf und erblickte drei geflügelte, echsenartige Wesen, die über ihnen kreisten und mit eisblauen Augen auf sie herabschauten. Ihre Flügelspannweite war weit geringer als ihre eigene, aber zu dritt stellten sie selbst für einen Großen Drachen eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Jedoch nur dann, wenn sie sich in einen Kampf verwickeln ließ.
    »Harry, wir verschwenden nur unsere Zeit«, sagte sie und stellte sich mühsam auf ihre krallenbewehrten Füße. »Wir sollten von hier verschwinden und ein anderes Sagaversum ausprobieren. Vielleicht lässt sich dieser Nicodemus anderswo leichter finden.«
    Harry grinste. »Täusche ich mich, oder nehme ich da eine gewisse Entschlossenheit wahr?«
    »Ich habe einfach das Gefühl, ich habe genug gesehen.« Sie hielt inne, rief sich das Codewort in Erinnerung, das man ihr bei der Einführung gegeben hatte, und sagte: »Engel Boxer Campus.«
    Ein roter Knopf erschien, und sie neigte sich vor und stupste ihn mit ihrer Drachenschnauze an, während maskierte Reiter den Bergpfad hochgeprescht kamen …
    Die Szenerie erzitterte, verschwamm, löste sich auf und wurde ersetzt durch ein helles, hufeisenförmiges Foyer, das von Spieleportalen gesäumt war. Planetenmodelle beleuchteten die Menschenscharen, die über den mit filigranen weißen Einlegemustern verzierten Boden wogten und über die Wendeltreppen ins Untergeschoss hinabströmten. Das Foyer der »Chronik des Schwarzen Throns« hatte etwa zwei Dutzend Einlassebenen, welche die Menschenmassen in ihr fantastisches Reich aufnahmen, und das hier war nur die für das MedAfrique-Multiportal. Auf den schwebenden Werbetafeln wurde verkündet, die durchschnittliche tägliche Spielerzahl entspreche der Bevölkerung eines großen südamerikanischen Landes …
    »Ah, da sind Sie ja«, sagte Harry, der wieder sein buntes Tigerherzog-Exter trug, das ihm Reski Emantes zur Verfügung gestellt hatte. Julia war die Löwenlady, ein Traum aus goldenem Samt, bernsteinfarbener Seide und schwarzer Spitze. »Wohin jetzt?«
    »Ins nächste Sagaversum«, antwortete sie und trat in die einer Schlucht ähnelnde Halle hinaus. An der Schwelle hielt sie inne und betrachtete staunend den gewaltigen, von Säulen flankierten Eingang mit dem archaischen Flachrelief. Eine breite, geschwungene weiße Treppe führte zum Sagaversum hoch. In der Luft schwebten massiv wirkende Lettern: Willkommen im Imperium Magnum.
    »Wir nehmen das hier.«
    Zusammen mit Harry stieg sie in ein schwanenförmiges Gefährt, das sich geschickt einen Weg durch das Gewimmel der Spieler, Touristen und anderen Glowbesucher bahnte. Kurz darauf stiegen sie über die weiße Treppe zu einem hohen Saal mit zahlreichen Obsidiansäulen, goldenen Statuen und gewaltigen Spiegeln hoch.
    Die Spiegel dienten dazu, ihr Saga-Exter auszuwählen. Anschließend beglich Harry mit seinem Kontoguthaben pauschal die Kosten für einen vollen Tag. Diesmal schenkte Julia dem Milieu – einem alternativen Römischen Reich, in dem es Dampfmaschinen gab – und den Wahlmöglichkeiten für ihr Charakter-Exter mehr Beachtung. Sie entschied sich für eine Prätorianerin in mittleren Jahren mit Namen Placidia. Das Exter stellte eine Kombination aus militärischer Zweckmäßigkeit und weiblicher Raffinesse dar. Eine Brustplatte aus Bronze und darüber ein weites, blau gemustertes Gewand. Darunter