Die Akte Daniel (German Edition)
Nacht ohne Mühe durchdringen. Das Mädchen würde in ein paar Jahren zur Blüte erwachen und ihre Eltern würden das niemals sehen können. Nur ein paar Wissenschaftler.
Jason wusste, dass es durchaus geschah, dass der eine oder andere Mitarbeiter in den Laboren und in den Zuchtanstalten sich nicht zurückhielt. Es kam immer wieder zu »bedauerlichen Zwischenfällen«, auch wenn diese in den letzten Jahren durch rigorose Strafmaßnahmen eingeschränkt worden waren. Demetrius Archer hatte wie immer auch in diesem speziellen Fall keine Kompromisse zugelassen.
Eigentlich konnte Jason das herzlich egal sein, wenn er ein anderer Mensch gewesen wäre. Aber die Vorstellung, dass Berenice zu all den Experimenten noch auf andere Art von den Forschern angefasst werden würde, gab ihm ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube, dass er nach ein paar Momenten als Abscheu erkannte. Nur, er konnte sie nicht retten.
Er hatte nie einen von ihnen retten können, denn er selbst war verloren. Jason war ein Dämon , der einen Auftrag hatte und seinen Herren loyal diente. Und das würde immer so bleiben – bis zu dem Tag, an dem der Tod ihn erlöste.
In seiner eigenen Kindheit hatte er für einen kurzen Zeitraum kennengelernt, was Freiheit und Unabhängigkeit bedeuteten. Er war die Freiheit. Und er war schnell wie ein Schatten, der von der Sonne durch die Welt gejagt wurde. Niemand konnte ihn greifen und er war überall.
Erst als die Foundation auf ihn aufmerksam wurde, schränkte sich seine Bewegungsfreiheit immer mehr ein. Er hatte es gar nicht bemerkt, aber mit der Offenbarung seiner Fähigkeiten und der damit verbundenen Einschränkungen wurde er nach und nach ein Gefangener ihrer Versprechen und ihrer Medikamente.
Schon heute schmerzten ihn seine Muskeln und manchmal taten ihm seine Lungen weh. Er war eine seltene Mutation. Aber die Art seiner Mutation war nicht replizierbar; sein Gencode zerstörte sich selbst, wenn man es versuchte. Er selbst hatte seinen Samen schon vor langer Zeit zur Verfügung stellen müssen. Dazu genug Blut, um für ein Krankenhaus in rauen Mengen zu spenden. Doch heute, wenn die Schmerzen zu stark wurden, dann brauchte er die Foundation . Früher brauchte er sie, weil er noch ein Kind gewesen war. Heute, weil er in rasender Geschwindigkeit alterte. Nur noch wenige Jahre, dann würde er ein Wrack sein. Niemand konnte ihn retten. Niemand ihm helfen. Sie konnten seinen Verfall nur verlangsamen.
Jason fuhr die nächtliche Straße entlang. Dorthin, wo er das Mädchen bringen würde, war es noch einsamer als hier.
Schließlich sollte die Außenwelt nie erfahren, was die Kage no Kiseki im Geheimen erforschten.
9
O.D. Internat für begabte Kinder und Jugendliche in der Grafschaft Hampshire an der Südküste Englands
Daniel versuchte sich heute zum letzten Mal darauf zu konzentrieren, nichts in den Gedanken von Mrs. Terranto zu lesen. Aber er las trotzdem wieder etwas. »Das ist anstrengend«, meinte er. »Ich werde den Rest meines Lebens hier verbringen und nie ein Problem mit der Telepathie haben.«
»So einfach ist das nicht«, wies ihn Mrs. Terranto zurecht, »Du musst in der Lage sein, dich auch unter »normalen« Menschen problemlos bewegen zu können. Und vor allem musst du dich gegen Übergriffe von außen schützen können.«
»Deswegen würde ich auch gern hier bleiben. Hier greift mich niemand an. Es ist schön hier. Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt in meinem Leben.« Daniel hob seine Schultern. Er wirkte noch immer schmal, doch sein Körper verriet es schon jetzt: Bald würde er schlaksig aufschießen und die meisten Erwachsenen überragen. Die Anlagen dazu waren unübersehbar. Dann würde er Essen brauchen – in rauen Mengen und von allem reichlich.
Seine Mentorin sah ihn scharf an. »Für gewisse Telepathen oder Traumgänger spielt es keine Rolle, wo du bist. Sie können jederzeit in deine Gedanken eindringen, und wenn du nicht gelernt hast, dich zu verteidigen, bist du ihnen hilflos ausgeliefert.«
Daniel machte es Angst. Er wusste jetzt mehr über Dinge, von denen er vorher noch nicht einmal geglaubt hatte, dass es sie außer in Comics wirklich geben würde. Alles ein Produkt der Phantasie. Er wusste daher sehr genau, worauf seine Mentorin hinaus wollte. Er selbst hatte einen Traumgänger noch nie zu Gesicht bekommen, aber unter den Schülern kursierten wilde Geschichten von dieser besonderen Form der Telepathen. Soweit er wusste, gab es unter den Schülern im
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