Die Akte Daniel (German Edition)
Bis auf das Fell war er bar jeglicher Kleidung. Es hatte eine Zeit gegeben, in der es nicht so gewesen war. Sie hatten sich dann sehr schnell und immer wieder die Sachen vom Leib gerissen. Diese Erfahrungen hatte sie einiges an Geld und Geduld gekostet. Aber inzwischen hatten sie dazugelernt.
Demetrius strich sanft über das schimmernde Fell, spürte die spitzen Zähne an seiner Zunge. Es war jedes Mal aufs Neue unglaublich zu sehen, welche Kontrolle Fearman über seine Nachtling-Gene hatte.
Nur das erlaubte ihm eine teilweise Verwandlung. Eine Begegnung mit seiner endgültigen Form – einem riesigen Panther – wäre weitaus lebensgefährlicher gewesen.
Allein wegen dieser Fähigkeiten wäre Fearman in den Händen der Foundation ein Gewinn, sowohl freiwillig als auch unfreiwillig. Doch Freiwilligkeit stand nicht zur Debatte und unfreiwillig ... dafür war das, was Demetrius hier hatte, viel zu wertvoll. Selbst über seine Loyalität hinaus. Ob Fearman ein reinrassiger, gezüchteter oder erschaffener Nachtling war, das war genauso ein Geheimnis wie ihre Treffen hier. Demetrius wollte Fearman mit allem, was er war. Lebendig, kraftvoll und mit diesem wilden Glanz in den lodernden Augen, die in diesen Momenten nur für ihn da waren. Demetrius ließ sich führen, während Fearman in all seinen Bewegungen kontrolliert und dominant zugleich blieb. Er liebte Demetrius, bis sie beide genug hatten und ruhig nebeneinanderlagen.
Noch immer schien der Mond durchs Fenster, und das einzige Geräusch war ihr langsamer werdender Atem. Bevor es wieder hell wurde, würden sie zurückkehren; auch das war Teil der Vereinbarung. Ihr Geheimnis durfte nicht ans Tageslicht. In Augenblicken wie diesen wäre manch einer vielleicht versucht gewesen, von Gefühlen zu sprechen, von der Zukunft, von Träumen. Aber auch das taten die beiden nicht. Ihr Schweigen sagte genug und war ihnen genug.
Fearman erhob sich. Seine Haut war wieder glatt und haarlos. Die Muskeln waren gut im Dämmerlicht zu sehen; er war stark und auch in diesem Moment gefährlich. Er sah Demetrius an.
»Vielleicht hören wir bald wieder einmal gemeinsam Jazz«, meinte er leise. Dann zog er sich an.
Demetrius griff ebenfalls nach seiner Kleidung, um sich wieder präsentabel herzurichten. Es war, als verschwände er hinter einem Schutzschild: Der eiskalte, zugeknöpfte Chef der Londoner Niederlassung trat wieder an die Stelle des leuchtenden Wesens mit wirren Haaren, das sich in der Dunkelheit von seinem Geliebten umarmen ließ.
»Ich komme am Sonntag mit ins Sovour «, erklärte er schlicht.
Fearman küsste ihn, dann war auch er wieder wie ein Schatten und verschwand, bevor der erste Vogel zu einem Morgenlied anhub. Auch Demetrius zögerte nicht länger. Es gab mindestens drei Dutzend Dinge, die an diesem Tag seiner Aufmerksamkeit bedurften. Es war Zeit, zurückzukehren.
11
O.D. Internat für begabte Kinder und Jugendliche in der Grafschaft Hampshire an der Südküste Englands
~ 2 Jahre später ~
Daniel trainierte mithilfe der Kunst des Schattenboxens. Er war heute Morgen schon im Dojo des Instituts gewesen, aber er fühlte sich nicht so, als hätte er sich genug ausgepowert.
Er brauchte mehr. Seine Muskeln hatten in der letzten Zeit gut zugesetzt. Am Anfang dachte er, dass er überhaupt keine Muskeln bekommen würde, aber jetzt setzten die Hormone, die ihn zum Mann machten und die die Haare in seinem Schritt kitzeln ließen, auch endlich in den Bereichen an, wo es ihm darauf ankam. Er wollte gut aussehen. Einen Bart hatte er noch nicht, aber diese Details waren es nicht, was er wollte. Eigentlich sollte nur das neue ärmellose Shirt gut an ihm aussehen, wenn er es anzog. Ohne Muskeln war das einfach nur lächerlich.
Erneut holte er zu ein paar Schlägen gegen einen unsichtbaren Gegner aus. Es war gut, alleine zu trainieren; Stella war immer eine hervorragende Lehrerin gewesen, aber inzwischen bevorzugte er es, gewisse Dinge auf die eigene Art zu machen und sich weiter zu entwickeln. In seinem eigenen Rhythmus fühlte er sich wohler. Vielleicht war es aber auch die typische Einsamkeitssehnsucht, die Sechzehnjährige öfters überfiel.
Daniel musste bei diesem Gedanken grinsen. Er hatte fast sein ganzes Leben damit verbracht, Menschen aus dem Weg zu gehen, aber hier musste er es nicht mehr. Die ewige Statik in seinem Kopf war schon vor langer Zeit verstummt.
Jetzt konnte er sich auf Dinge konzentrieren, auf die er immer hatte verzichten müssen
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