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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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ich Sie richtig, Sie möchten Ihre Aussage honoriert haben?«, fragte er, ohne Lewezow anzusehen.
    »Wollen wir einmal so sagen: Vielleicht könnte ich Ihnen in Ihrer misslichen Lage zur Hand gehen.«
    Lewezows Vorschlag kam unerwartet; und Gropius überlegte einen Moment, ob es ratsam war, diesem schwer durchschaubaren Menschen zu trauen. Andererseits war Lewezow mit seiner Situation besser vertraut als jeder andere und würde eine willkommene Hilfe sein.
    Zum Lunch waren Gregor Gropius und Felicia Schlesinger in einem Restaurant gegenüber der Oper verabredet. Seit ihrem heftigen Gefühlsausbruch in der Lobby des Hotels herrschte zwischen den beiden eine merkwürdige Spannung, keineswegs unangenehm, doch die Unbefangenheit – soweit man in ihrer Situation von Unbefangenheit sprechen konnte – war einer gewissen Unsicherheit dem anderen gegenüber gewichen.
    Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätten sich ein paar Tage nicht gesehen, doch dazu war ihre Situation zu brisant. Felicia hatte ein weiteres Verhör hinter sich, bei dem sie der Polizei kaum Neuigkeiten verriet, und auch deren Hoffnung, sie würde sich in Widersprüche zu ihrer ersten Aussage verwickeln, ging nicht in Erfüllung. Dabei machte sie die erstaunliche Feststellung, dass sie, je mehr sie über Schlesinger und sein undurchdringliches Leben befragt wurde, auf Arno zunehmende Wut entwickelte. Das erschreckte sie, doch Gropius, dem sie ihre ausufernden Gefühle gestand, beruhigte sie mit der Feststellung, der Schock über den Tod eines nahestehenden Menschen sei in der Lage, das Gefühlsleben ins Gegenteil zu verkehren. Es sei gar nicht selten, dass Eheleute plötzlich Hass gegen den verstorbenen Partner entwickelten.
    Als der Kellner das Essen abgeräumt hatte, zog Felicia aus ihrer Handtasche einen Terminkalender hervor und schob ihn über den Tisch. »Sein Terminkalender«, meinte sie eher beiläufig, »er wurde mir von der Klinik mit seiner Brieftasche, der Uhr und einigen Kleidungsstücken ausgehändigt.«
    Gropius sah Felicia fragend an.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, meinte Felicia, »ich will einfach nicht wissen, was darin steht. Vielleicht finden Sie einen Hinweis auf irgendetwas, was uns weiterbringen könnte.«
    Der Professor hatte Hemmungen, das schwarze Büchlein an sich zu nehmen und im Leben Schlesingers zu blättern. Doch dann überwog der Gedanke, dass Schlesingers Tod und sein Weiterleben eng miteinander verbunden waren, und er ließ die einzelnen Tage und Wochen durch die Finger gleiten. Während Felicia demonstrativ den Blick aus dem Fenster wandte, wo die Fassade des Opernhauses in der Sonne leuchtete, versuchte Gropius einzelne Eintragungen zu entziffern. Das war nicht leicht, denn Schlesingers Notizen waren kaum leserlich und manche sogar in griechischen oder hebräischen Schriftzeichen geschrieben.
    »Ihr Mann war sehr gebildet, er sprach viele Sprachen?«, bemerkte Gropius fragend.
    Felicia nickte. »Mehr als ein halbes Dutzend, sieben oder acht. Bisweilen machte er sich einen Spaß daraus, mir Zettel in fremder Schrift zu schreiben oder Zahlen in arabischer Schreibweise zu verwenden. Das machte mich wütend, und er empfand Vergnügen dabei.«
    Akkurat und durchaus leserlich war der Tag verzeichnet, an dem Schlesinger das Klinikum aufgesucht hatte, sogar der Termin der Transplantation war mit einem X gekennzeichnet. Danach hörten die Eintragungen auf. Gropius hielt inne.
    »Hier gibt es noch eine Eintragung: 23. November, 16 Uhr, Hotel ›Adlon‹, Prof. de Luca. Sagt Ihnen der Name etwas?«
    Felicia überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf und meinte: »Nie gehört. Wie ich schon sagte, ich kümmerte mich wenig um Arnos Termine. Ehrlich gesagt – es interessierte mich auch nicht.«
    Gropius blätterte zurück. »Der Name Professore de Luca taucht sogar mehrmals auf.«
    Eine Weile schwiegen beide vor sich hin, ein jeder mit den gleichen Gedanken beschäftigt: Wer war dieser Professore de Luca? Wusste er mehr über Schlesingers Doppelleben?
    »Man müsste ihn einfach danach fragen«, bemerkte Gropius plötzlich und scheinbar zusammenhanglos.
    Felicia sah Gropius an.
    »Ich meine«, fuhr Gregor fort, »es ist vielleicht die einzige Chance, die wir haben. Heute ist der einundzwanzigste November. Wenn Sie einverstanden sind, fliege ich übermorgen nach Berlin, um de Luca zu treffen.«
    »Das würden Sie tun? Selbstverständlich komme ich für alle Kosten auf!«
    »Unsinn!«, sagte Gropius verstimmt.

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