Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
so. Es ging auf 20 Uhr, und er erreichte Sigi in dem Klub, in dem sie arbeitete. Wegen der lärmenden Musik der Band im Hintergrund mußte er schreien, damit sie ihn verstand.
Miller unterbrach ihre Fragen – wo er gewesen sei, weshalb er nichts von sich hatte hören lassen, wo er sich jetzt aufhalte – und sagte ihr, was sie tun sollte. Sie wandte ein, daß sie nicht wegkönne, aber in seiner Stimme schwang etwas mit, was sie stutzig machte.
»Ist mit dir auch alles in Ordnung?« schrie sie ins Telefon.
»Ja. Mir geht es gut. Aber ich brauche deine Hilfe. Bitte, Liebling, laß mich nicht im Stich. Nicht jetzt, nicht heute nacht.«
Sie schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: »Ich komme. Ich erzähle denen hier einfach irgendwas von einer dringenden Familiensache. Ein Notfall oder so.«
»Hast du genug Bargeld, um einen Wagen zu mieten?«
»Ich glaube schon. Ich kann mir ja was von einer Kollegin pumpen.«
Er nannte ihr einen Wagenverleih mit durchgehendem Nachtbetrieb und schärfte ihr ein, seinen Namen zu erwähnen, weil er den Inhaber gut kannte.
»Wie weit ist es bis zu dir?« fragte sie.
»Von Hamburg aus sind es fünfhundert Kilometer. Du kannst es in fünf Stunden schaffen. Sagen wir sechs Stunden, von jetzt ab gerechnet. Du wirst gegen 5 Uhr morgens hier sein. Und vergiß nicht, die Sachen mitzubringen.«
»Nein, ich bringe sie dir mit.« Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Peter, Liebling …«
»Was ist?«
»Hast du vor irgend etwas Angst?«
Das Leuchtzeichen forderte erneut zum Nachzahlen auf, und Miller hatte kein Markstück mehr.
»Ja«, sagte er nur und hängte ein, als sie getrennt wurden.
Im Hotelfoyer fragte erden Nachtportier, ob er ihm einen großen Umschlag beschaffen könne. Nach einigem Suchen in den Fächern unter dem Tresen überreichte der Portier Miller triumphierend ein mit Pappe verstärktes braunes Kuvert. Es war groß genug für Din-A4-Blätter. Miller, der die umfangreiche Sendung als Briefpost abschicken wollte, kaufte ihm obendrein noch seinen gesamten Vorrat an Briefmarken ab, die normalerweise nur für die Gäste mit Ansichtskarten da waren.
Danach ging er wieder in sein Zimmer. Er legte den Attachékoffer, den er den ganzen Abend mitgenommen hatte, auf das Bett und nahm Salomon Taubers Tagebuch, den Aktenhefter aus Winzers Safe und zwei Photographien heraus. Er las die beiden Seiten in dem Tagebuch noch einmal. Sie hatten ihn dazu gebracht, Jagd auf einen Mann zu machen, von dem er bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Er betrachtete lange die beiden Photos. Schließlich nahm er einen Bogen einfaches weißes Papier aus dem Koffer und schrieb eine kurze, für jeden Leser verständliche Erklärung nieder, aus der unmißverständlich hervorging, um was es sich bei dem Aktenhefter handelte. Die Erklärung steckte er zusammen mit der Akte aus Winzers Safe und einem der beiden Lichtbilder in den Umschlag. Er adressierte ihn und beklebte ihn mit sämtlichen Marken, die ihm der Nachtportier verkauft hatte.
Das andere Photo steckte er in die Brusttasche seiner Jacke. Der zugeklebte Umschlag und das Tagebuch wanderten wieder in den Attachékoffer, den er unters Bett schob.
Er hatte noch eine kleine Taschenflasche Kognak in seinem Reisekoffer. Am Waschbecken goß er sich ein Wasserglas voll ein. Er stellte fest, daß seine Hände zitterten, aber die feurige Flüssigkeit entspannte ihn. Er legte sich mit leicht schwindligem Kopf auf das Bett und schlief sofort ein.
Josef ging wütend und ungeduldig in dem Kellerraum in München auf und ab. Leon und Motti saßen am Tisch und starrten auf ihre Hände. Seit dem Eintreffen des Telegramms aus Tel Aviv waren achtundvierzig Stunden vergangen.
Ihre Versuche, Miller ausfindig zu machen, hatten keinen Erfolg gehabt. Auf ihr Drängen war Alfred Oster zu dem Parkplatz in Bayreuth gegangen, um nachzusehen, ob der Jaguar noch dort stand. Später bekamen sie die Nachricht, daß er verschwunden war.
»Wenn die den Jaguar zu Gesicht bekommen, wissen sie, daß Kolb kein Bäckergeselle aus Bremen sein kann«, knurrte Josef. »Selbst wenn sie nicht wissen, daß der Besitzer Peter Miller heißt.«
Später hatte ein Freund in Stuttgart Leon davon unterrichtet, daß die Polizei im Zusammenhang mit der Ermordung eines Stuttgarter Bürgers namens Bayer, dessen Leiche in einem Hotelzimmer aufgefunden wurde, nach einem jüngeren Mann fahndete. Die Personenbeschreibung paßte zu gut auf den als Kolb getarnten Miller, als
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