Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
Sechzigtausend?« fragte Miller. »Halten Sie es wirklich für so entscheidend, vielleicht ›nur‹ sechzigtausend Menschen umgebracht zu haben und keine achtzigtausend?«
»Das ist ja der springende Punkt«, sagte Roschmann lebhaft. »Es ist heute so unwichtig wie damals. Hören Sie, junger Mann, ich weiß nicht, weshalb Sie es auf mich abgesehen haben. Aber ich kann es mir zusammenreimen. Irgend jemand hat Ihnen eine Menge sentimentalen Unsinn über sogenannte Kriegsverbrechen und dergleichen eingetrichtert. Das ist alles Unsinn, absoluter Unsinn. Wie alt sind Sie?«
»Neunundzwanzig.«
»Haben Sie Ihren Militärdienst geleistet?«
»Nein, ich war nicht mehr wehrpflichtig.«
»Dann haben Sie ja keine Ahnung vom Militär. Befehl ist Befehl. Wer ihn ausführt, ist für das, was er tut, nicht verantwortlich.«
»Sie wollen mir doch nicht einreden, daß Sie Soldat waren? Sie haben zwar eine Uniform getragen, aber welches Risiko haben Sie denn gehabt? Standen Sie jemals einem bewaffneten Mann gegenüber? Nein, Roschmann, Sie waren nichts anderes als ein Henker in Uniform!«
»Unsinn«, sagte Roschmann, »ihr Jungen seid alle gleich. Man hat eure Köpfe mit Lügen vollgestopft, man hat unsere großen Ideen herabgewürdigt. Alles, was früher war, das verachtet ihr, weil ihr nicht wißt, wie es war.«
»Und wie war es damals? Ich bin Journalist, bitte, ich lasse mich gern belehren. Eure Verbrechen – waren das die großen Ideen? Aber vielleicht ist die ganze Welt im Unrecht und nur ihr, die Mörder, im Recht.«
Roschmann lehnte sich in seinem Sessel zurück. Die unmittelbare Gefahr schien für den Augenblick gebannt.
»Junger Mann, Sie wollen wissen, wie es damals war? Gut, ich will es Ihnen sagen: Wir waren auf dem besten Weg, die Herren der Welt zu werden. Wir hatten alle Armeen geschlagen. Und wir haben gezeigt, was für eine große Nation wir sind. Und das konnten wir nur, weil wir hart waren, frei von jeder Gefühlsduselei. Wir standen geschlossen hinter unserem Ziel und geschlossen hinter dem Mann, der uns dorthin führte. Unser Ziel, das war die Größe, die dem deutschen Volk immer versagt gewesen war. Aber das könnt ihr nicht verstehen, weil ihr aufgehört habt, als Deutsche zu fühlen, weil die Umerzieher euch Stolz und Vaterlandsliebe aus den Köpfen getrommelt haben. Was war denn vorher, bevor wir kamen? Ein verlorener Krieg, weil uns die Verräter im eigenen Land den Dolch in den Rücken gestoßen hatten, das Versailler Diktat – eine Schmach für jedes Volk; dann Millionen Arbeitslose auf der Straße, Elend und Kriminalität, weil der Staat von Weimar mit einer Schwatzbude als Parlament keine Ordnung schaffen konnte. Ordnung und Arbeit – das haben wir gebracht, wir, weil wir hart waren und unbeugsam und an das deutsche Volk glaubten. Es galt, die Besten dieses Volkes zu berufen und die Schwachen, die Schmarotzer und Schädlinge auszumerzen. Wir waren auf einem großen Weg: Brot, Ordnung und Kampf. Ja, Kampf und Siege. Und wir von der SS, wir waren die Besten, die Elite, und sind es auch heute noch.«
Roschmann holte Atem.
»Natürlich haben wir auf gewissen Gebieten Fehler gemacht. Aber haben die andern keine gemacht?«
Miller wollte ihn unterbrechen, aber Roschmann redete weiter. »Nein, nicht die Juden und die Lager – die meine ich nicht. Unser Volk konnte nur überleben, wenn unsere Feinde ausgeräuchert wurden. Und zu diesen Feinden, die für unser Unglück verantwortlich waren, gehörten vor allem die Juden. Und weil wir versucht haben, die Welt von dieser Pest zu befreien, macht ihr jetzt ein Geschrei. Es hat sie doch niemand nehmen wollen! Es gab eine Zeit, wo wir sie verschenkt hätten. Aber keiner wollte sie! Im übrigen: Ihr tut immer so, als wären wir die Erfinder der Konzentrationslager gewesen. Haben Sie nie davon gehört, daß die ersten Konzentrationslager die Engländer im Buren-Krieg errichtet haben?
Aber darum geht es nicht. Es geht um etwas anderes. Auch in der Natur gibt es die natürliche Auslese: Der Schwächere muß dem Stärkeren weichen. Auf diese Weise hat die Natur wertvolle Gattungen erhalten. Und schauen Sie sich in der Weltgeschichte um. Wir gehörten zu den Wertvollen. Daher mußten die Schwächlinge weichen. Ja, Sie mögen mich haßerfüllt, mißtrauisch oder sonst noch wie anschauen. Aber uns beide verbindet etwas, was Sie heute für nicht mehr sehr wertvoll betrachten, wir beide sind die Angehörigen des rassisch wertvollsten Volkes der
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